Perspektive Generationen: Miteinander neue Lösungen finden
Allgemein
Di 27.07.2021
Graffiti
Vandalismus oder Kunst?
ein Beitrag von
Muhammad Kudusov
Graffiti – die rebellische Kraft. Ist es tatsächlich Kunst? Werden da lediglich Wände und öffentliche Flächen verunstaltet? Oder bringen die farbenfrohen Illustrationen mehr Leben in die graue Betonstadt? Dieses heiß umstrittene Thema löst schnell heftige Debatten aus. Die einen erfreuen sich an der kreativen Aktivität der Jugend. Andere beklagen das Sprayen lautstark als Sachbeschädigung. Doch was denken die Jugendlichen darüber? Jugendliche und aktive Sprayer:innen in der Sprayer-Community wurden nach ihrer Meinung
Cornelia Wörz
16 Jahre
Cornelia Wörz
16 Jahre
Was denkst du über illegales Graffiti?
Wenn es schön ist, finde ich es nicht schlimm, obwohl „schön“ natürlich subjektiv ist. Meist verschönert es leere Plätze wie eine graue Wand. Aber an manchen Stellen wie Kirchen sollte man das unterlassen, das empfinde ich dann als gewisse Beleidigung.
Gibt es in deiner Umgebung viele Graffitis?
In Lauterach gibt es eine Menge Plätze, an denen Graffitis gesprayt wurden, wie z.B. neben dem Bahnhof im Jugendplatz, bei der Seifenfabrik und bei der Brücke.
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Viola Vorderegger
16 Jahre
Viola Vorderegger
16 Jahre
Was ist Kunst für dich?
Schwere Frage. Für mich kann jeder Kunst machen, aber es muss nicht gleich gute Kunst sein. Da gibt es eine gewisse Grenze. Wenn ich nur einen Strich mache, ist das meiner Meinung nach, keine gute Kunst.
Erlebst du viel Kunst in deinem Alltag?
Also meine Eltern sind sehr kunstinteressiert und waren mit mir auch schon im Kunsthistorischen Museum in Wien, also bin ich mit Kunst quasi aufgewachsen. Selbst mache ich auch etwas Kunst, ich bin aber nicht direkt eine Künstlerin.
Ist Graffiti für dich Kunst?
Graffitis sind für mich künstlerischer Ausdruck. Und das auf eine sehr coole, moderne und jugendliche Art. Sie sind lebendig und auf der Straße kann sie jeder sehen.
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Umut Gür
17 Jahre
Umut Gür
17 Jahre
Was denkst du über Graffiti?
Es ist eine Art von Kunst, ich habe damit kein Problem. Es befindet sich an öffentlichen Plätzen und ist eigentlich gratis Kunst. Gemälde oder Galerien sind teuer, aber jeder Interessierte kann sich Graffitis anschauen.
Hältst du Graffiti für Vandalismus?
Ich frage mich: Warum ist das so schlimm, wenn man eine Wand besprüht? Einfach übermalen, oder wegsprühen, wenn es jemandem nicht gefällt. Ist doch nur Kunst.
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Aaron Mafitabar
16 Jahre
Aaron Mafitabar
16 Jahre
Ist Graffiti für dich nur „Geschmiere“?
Nein. Die Idee, mit Flaschen zu sprühen, ist sehr cool. Graffitis sind sehr vielfältig mit ihren verschiedenen Farben. Manchmal sind die Kunstwerke ein bisschen fragwürdig, wenn zum Beispiel Schimpfwörter oder politisch inkorrekte Wörter verwendet werden. Also wenn die Motivation nicht nur der freie Ausdruck ist und man es vielmehr deshalb macht, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Gibt es genügend Räume für Graffitis?
In Wien gibt es viele legale Orte, aber ich kenne nicht alle. Beispiele dafür wären der Schottenring oder der Donaukanal. Ich habe das Gefühl, dass es zu wenig legale Plätze gibt. Auf den legalen Wänden überschneiden sich Graffitis und werden übersprüht. Meines Wissens gibt es im Gegensatz dazu am Land keine Graffitis. Deshalb ist meine Frage: Wie wäre das am Land?
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Perspektive gewinnen
Was wissen wir?
Graffitis werden bei der Jugend weitgehend als Kunst angesehen. Doch auch diese ziehen eine Grenze, was denn nun Kunst ist und was nicht. Genau wie bei den Erwachsenen sind sich die Jugendlichen dabei nicht zu 100% einig. Doch bei einer Sache sind sie sich sicher: Illegale Sprühereien werden vermieden, wenn es an ausreichend vielen Orten erlaubt ist. Es sollen Räume für diese kreativen Aktivitäten bereitgestellt werden. So könnten beide Seiten, also Sprayer:innen und beispielsweise Behörden, zufriedengestellt werden.
Expert:innen im Gespräch
Vanessa Hänsler
35 Jahre
Vanessa Hänsler
35 Jahre
Wie bist du zum Sprayen gekommen?
Ich schreibe gerade zufällig ein Buch darüber. Es hat alles angefangen mit einer Brücke. Denn ich bin in einem Dorf groß geworden, wo es eine Brücke und einen Skaterpark gab. Dort habe ich die Tags an den Wänden gesehen und wollte das dann auch direkt mit meinen Kreiden ausprobieren. Mein Umfeld war sehr kreativ, alle meine Freund*innen haben gemalt. Dann bin ich durchgestartet, mit legalen Aufträgen und teilweise auch illegalen. Dafür kamen wir irgendwann vors Gericht und bekamen eine Anzeige wegen Sachschaden. Danach bin ich auf das Grafikdesign-Studium gekommen.
Was machst du jetzt?
Jetzt mache ich Multimedia-Grafikdesign, das bedeutet, dass ich meistens digital am Computer arbeite. Ansonsten wäre es mir zu teuer. Ab und zu spraye ich schon noch, aber nicht mehr so regelmäßig wie früher. Allgemein mache ich auch mehr in Richtung Film mit Musikvideos und produziere ebenfalls Beats und Sounds. Letztens haben wir ein echt krasses Video in Feldkirch mit einem Krankenwagen gedreht. Das war superaufwendig und kreativ.
Ganz philosophisch, was ist Kunst für dich?
Alles. Ich bin Kunst. Du bist Kunst. Es kann gut oder hässlich sein. Als Beispiel: Wenn ich eine Frau mit einem Mann sehe, ist er möglicherweise nicht mein Typ, aber ich verstehe, was sie in ihm sieht. Denn ich sehe in allem Kunst. Das ganze Leben ist Kunst. So wie die Farben und Formen. Ich habe ein Motto, das wie eine Religion für mich ist: „Schön denken, schön sprechen, schön machen“. Und danach lebe ich.
Wie siehst du illegales Sprayen?
Damit habe ich kein Problem. Aber es gibt auch Unterschiede. Wenn jemand hart für etwas gearbeitet hat, muss man es nicht beschädigen. Also nicht an das neue Auto oder an die frisch gebaute Hauswand oder an Stätten wie Kirchen sprayen. Stattdessen lieber an irgendeine leere graue Wand, die man damit verschönert. Manche Graffitis kann man sich aber echt sparen. Ich bin der Meinung, wenn man sprayt, dann mit Style und bunt.
Ich habe den Artikel in der Vol.at über dich gelesen. Hat sich seitdem viel verändert?
In Wien auf jeden Fall. Es gibt viel mehr Frauen in der Szene und es sind viele aus der Breakdance- und Tänzerszene dazugekommen. Die Szene befindet sich in einem Wandel. Auch persönlich gab es Veränderungen.
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Tom Hehne
35 Jahre
Tom Hehne
35 Jahre
Magst du dich für unsere Leser*innen kurz vorstellen?
Ich bin Tom und arbeite zurzeit in Lindau an Wandgestaltungsaufträgen und hier an einem Projekt Künstler*innen miteinander zu verbinden. Dafür hat der Verein KFL (KulturFertigLos!) von der Firma Rhomberg Gebäude zu Verfügung gestellt bekommen, um neue Ateliers zu schaffen. Dort soll durch 360°Videoprojektionen eine invasive Welt entstehen, in die man eintaucht, um eine psychedelischen Erfahrung zu erleben, ganz ohne Drogen. Aber die richtige Umsetzung des Projektes braucht eine Weile.
Was ist Kunst für dich?
Das kann ich schlecht bewerten. Das ist das Schöne beim Kunstunterricht oder Workshop. Ich kann nicht bestimmen, dass zum Beispiel ein Rad oder ein Rahmen fehlt. Ich kann nicht sagen, dass etwas keine Kunst ist. Denn Kunst ist die Sprache der Seele und deren Ausdruck. Wenn etwas mit meinem Inneren nicht stimmt, dann zeigt sich das auch in meiner Kunst.
Wenn ich nicht harmonisch mit mir selber bin, dann werde ich auch kein harmonisches Bild auf die Reihe bekommen. Es hängt von dem eigenen Zustand ab.
Wie kamst du zum Sprayen?
Ehrlich gesagt, bin ich da reingewachsen. Ich habe mir viele Bilder angeschaut und immer mehr gesketcht. Im Alter von 12 Jahren war das dann mein Leben und mit 15 habe ich angefangen auf der Straße zu sprayen und war dann voll im „Streetlife“. Das alles passierte in einem kleinen Dorf. Darüber hat man sogar eine Doku gedreht. Mit den Graffitis wollte man, im Nachhinein betrachtet, auf der Straße gesehen werden. Ich wollte besser sein als die anderen und dafür auch Anerkennung bekommen. Wenn man in der Nacht gesprayt hat und nicht mal die schwarze von der roten Farbe unterscheiden konnte, und dann am nächsten Tag gesehen hat, dass das Bild geil geworden ist, hat man sich sehr gefreut. Dann bin ich irgendwann nach Potsdam und anschließend nach Berlin umgesiedelt.
Und wie ist es jetzt?
Es gibt eben verschiedene Arten von Graffiti-Szenen: Solche, die miteinander legal sprayen wollen und sich sehr dafür interessieren und dann solche, die Graffitis machen und in illegale Spray-Aktivitäten verwickelt sind. Ich fokussiere mich mittlerweile vor allem auf die Qualität: Geile Styles, geile Farben und geile Bilder halt. Ich probiere viele Techniken aus: Öl, Acryl und mache auch schon seit langer Zeit Bodypainting. Meine neue Kunst ist gerade die Kommunikation mit Menschen. Das bedeutet: Wie spricht man sich ab und wie geht man aufeinander zu, damit am Ende keine stille Post daraus wird?
Gibt es dort ein spezielles Angebot für Jugendliche?
Wir haben Graffiti-Workshops gemacht und ich war auch einige Zeit als Kunstlehrer in Kreuzberg tätig. Kinder sind die Zukunft und wir sollten sie auf einen guten Film bringen. Mit der Botschaft „Glaub an dich“ sollen die Jugendlichen motiviert werden. Sie sollen auf ihr Herz hören können. Wir wollen Kinder mit ins Boot holen und einbinden, aber sie sollen sich auch selbst Gedanken machen. In der Schule hat man so viele Vorgaben, stattdessen bauen die Kinder bei uns selbst etwas auf. Wir machen, was die Kids wollen. Ein Beispiel: Das Kind bekommt ein Geschenk, spielt dann aber mit der Verpackung. Daran sieht man einfach, dass der Spieltrieb bei Kindern sehr groß ist.
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Rechtliche Grundlage
Wichtig zu wissen ist…
Manche Graffitis sind verboten. Doch wie genau ist das Gesetz geregelt? Und was für Strafen drohen den jungen Leuten wirklich für das Sprayen?
Natürlich ist Straftat nicht gleich Straftat. Das variiert von Fall zu Fall. Die härtesten Strafen werden gegen das Besprayen von religiösen Orten, wie Kirchen, Synagogen oder Moscheen, Denkmälern, Gräbern und Friedhöfen, von wichtigen Teilen der Infrastruktur, wie Stoppschilder, sowie von Objekten von historischem, wissenschaftlichem, volkskundlichem oder künstlerischem Wert, ausgesprochen. Dies wird als Sachbeschädigung gewertet und kann mit bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe einhergehen Einfachere Delikte werden mit min. 5 Euro Bußgeld abgehandelt, dies wird aber immer von der besprühten Fläche abhängig gemacht. Sollte man also ein teures Auto besprühen, kann auch die Strafe weitaus höher ausfallen. Überschreitet die Strafe 5000 Euro wird diese wieder als Sachbeschädigung gewertet.
Quellen zur rechtlichen Grundlage
Jusline: https://www.jusline.at/gesetz/stgb/paragraf/126
Ratgeber: https://www.mdr.de/ratgeber/recht/graffiti-strafrecht-gesetze-taeter-strafe-schadenssersatz-ratgeber-100.html#sprung0
Polizei-Ratgeber: https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/jugendkriminalitaet/illegale-graffiti/
Umso wichtiger sind legale Plätze…
Wer mehr über die legalen Plätze in ganz Österreich erfahren möchte, kann sich im untenstehenden Link dazu informieren. https://www.oesterreich-info.at/themen/graffiti.htm
Die Meinungen von den jungen Menschen sowie Experten und Expertinnen aus der Spray-Gemeinschaft sind facettenreich. Einige Jugendliche wollen der Kunst keine Grenze setzen, während andere sich um den Inhalt sorgen und strikt gegen Obszönitäten aller Art sind. Experten und Expertinnen verorten Graffitis mehr im Graubereich, halten sich jedoch an gewisse Regeln, welche sie nicht brechen würden. Darin inbegriffen sind Rassismus, Sexismus, Besprühung von religiösen Orten oder Privatbesitz, sowie einiges mehr.
Was die Medien dazu sagen
Doch was sagen die Medien zum Thema? Wenn man den Begriff „Graffiti“ googelt, erhält man vor allem zwei verschiedene Ergebnisse: Entweder bekommt man vonseiten der Polizei die Aufforderung einen „Vandalen“ zu schnappen. Oder man findet Einträge zu Lösungen, wie junge Leute legal ihrer Kunst Ausdruck verleihen können. Die Lösungen beinhalten meist das Bereitstellen von Graffiti-Wänden, welche legal besprüht werden dürfen. Diese Plätze werden mithilfe von Jugendlichen designt und geplant. Damit sollen Jugendliche ihre „überschüssige Kreativität“ an legalen Plätzen auslassen und sich austoben können. Dieser Vorschlag wurde beispielsweise von der Sprayer*innen-Community und der Stadtverwaltung Wien positiv aufgenommen und zur Umsetzung gebracht. Damit werden Flächen geschaffen, welche den jungen Menschen für deren kreative Gestaltung frei zur Verfügung stehen. Die Wände sind mit einer Taube markiert.
Klar ist, dass die legalen Flächen nicht alle Probleme lösen. Einige Sprayer*innen machen Graffitis für den Adrenalinkick und sehen diese als Ausdruck von Widerstand. Es ist wichtig zu beachten: Allein bei den Wiener Linien entstanden durch Graffitis schon bis zu 2,5 Millionen Euro Schäden. Da die Züge wieder gereinigt werden mussten und dadurch nicht in Betrieb genommen werden konnten, was wiederum zu Verspätungen und Ersatzzügen führte. Im Gegenzug dazu gab es auch gezielte Attacken gegen Kunstwerke, welche legal und öffentlich zur Schau gestellt wurden.
Mehr als nur Underground. Eine Szene etabliert sich.
Das Sprayen beschränkt sich jedoch längst nicht mehr nur auf die Stadt. Projekte wie Würmlas Wände bringen die urbane Kunst nun in den ländlichen Raum. Auch dort werden sie zur Touristenattraktion und die Undergroundkunst wird mit einem wirtschaftlichen Aspekt ergänzt. Mittlerweile werden Graffiti-Künstler*innen damit beauftragt, ihre Bilder zu verwirklichen. Das eröffnet eine komplett neue Marktnische für Künstler*innen und etabliert Graffiti in der Kunstszene. So wurde Banksy zu einem weltberühmten Graffiti-Künstler, dessen Wandkunstwerke sogar aus Wandmauern gestanzt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich einige Städte wie Wien sehr darum bemühen, freie Flächen für junge Leute zu schaffen. Jedoch ist da noch „viel Luft nach oben“, denn diese Plätze reichen für die wachsende Community an Graffiti-Sprayer*innen bald nicht mehr aus. Und die Konsequenzen von illegalem Sprayen können erheblich sein.
Von den Generationen eingebrachte Lösungsvorschläge.
- Viele Jugendliche und Erwachsene sind der Ansicht, dass es einfach zu wenige Sprühflächen gibt. Das Problem von illegalem Sprühen wäre teilweise gelöst, sofern genug legale Flächen zur Verfügung stehen würden. Das müssen nicht bloß irgendwelche Hauswände sein. Sondern könnten sogar ganze Gebäude sein, wie leerstehende Büros, welche nicht mehr genutzt werden. An solchen Flächen mangelt es nicht. Die Schwierigkeit liegt vielmehr in der Umsetzung. Einiges wird bereits von jungen Menschen und motivierten Künstler*innen organisiert. So gibt es Graffiti-Workshops und diverse andere Angebote.
- Sprühflächen ermöglichen und gleichzeitig Jugendliche und Künstler*innen involvieren. Wenn solche Flächen für junge Leute und Sprüher*innen geschaffen werden, wissen diese am besten, was sie wollen. Die jungen Menschen in die Planung einzubeziehen ist wichtig, ist wichtig, um die Bedürfnisse jener zu befriedigen. In Wien sind solche legalen Flächen mit einem Symbol, einer Taube, markiert und per Map auffindbar.