Perspektive Generationen: Miteinander neue Lösungen finden
Mi 09.12.2020
Wie wirkt sich die Pandemie auf meine Rechte aus?
Ein Beitrag von
Muhammad Kudusov und Viktoria Ganahl
Am 20. November wurde der UN-Kinderrechtetag gefeiert. Doch wie steht es mit den Kinderrechten während einer weltweiten Pandemie? Geschlossene Freizeitbetriebe, abgesagte Veranstaltungen und Ausgangssperren wirken sich auf jede Altersgruppe unterschiedlich aus. Wir alle wissen: Der massive Anstieg von Corona-Infektionen machte auch in Österreich einen zweiten Lockdown nötig. Die strengen Maßnahmen dienen zur Eindämmung des Virus. Und sie schränken die Freiheiten der Menschen enorm ein. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Kinder und Jugendliche. Statt im gemeinsamen Spiel und bei Partys mit Freund*innen in Lebensfreude und Spaß einen Ausgleich zum Lernen zu schaffen, sitzen die jungen Leute im Homeschooling isoliert vor dem Bildschirm. Viele fühlen sich einsam und vermissen den Austausch mit Gleichaltrigen sehr. Bei Erwachsenen stoßen diese Gefühle mitunter auf Unverständnis oder werden überhaupt nicht wahrgenommen. Was denken Jugendliche über die Einschränkung ihrer Rechte und Freiheiten?
Noelia Gutschi
13 Jahre
Graz
Noelia Gutschi
13 Jahre
Graz
Ist es schwierig, mit Freund*innen in Kontakt zu bleiben?
Im ersten Lockdown habe ich sehr viele Briefe geschrieben. Da die Leute mehr Zeit hatten und daheim waren, haben sie auch geantwortet. Wenn Freunde in Quarantäne waren, habe ich zum Beispiel eine Schokolade verpackt. Dann bin ich mit dem Fahrrad zu ihnen hingefahren und habe sie in den Postkasten geworfen. Man freut sich über solche kleinen Gesten mehr als über eine Nachricht auf WhatsApp – so kommt es mir vor. Mit den meisten habe ich aber einfach nur telefoniert oder digital geredet.
Findest du, dass deine Rechte durch Covid-19 eingeschränkt werden?
Ich finde, dass Kinder in der Corona-Krise ein bisschen vernachlässigt werden. Baumärkte zum Beispiel haben vor den Schulen und Spielplätzen aufgemacht. Bei uns haben die meisten aber keinen Garten. Außerdem haben Kinder weniger Kontakt mit Gleichaltrigen und Freunden. Ich finde, Freunde sehen zu dürfen ist schon ein Recht. Eine Schülerin aus meiner Klasse hat kein Handy und keinen Computer. Ich habe sie ein halbes Jahr lang nicht gesehen! Das ist dann traurig. Ich glaube schon, dass meine Rechte ein bisschen eingeschränkt werden. Aber in einer Pandemie muss wohl, glaube ich, zuerst an Patienten gedacht werden und erst an zweiter Stelle an Rechte.
weiterlesen
weniger anzeigen
Julian Ganahl
17 Jahre
Walgau
Julian Ganahl
17 Jahre
Walgau
Kannst du deine Hobbys weiterhin ausführen?
Meine Hobbys sind hauptsächlich drei Bands. Mit einer Band sind wir auf Discord umgestiegen. Das heißt, wir versuchen, an unserem eigenen Zeug zu basteln, und jeden Sonntag treffen wir uns in einem Anruf. Jemand teilt das Audioprogramm, dann können wir es uns gemeinsam anhören und Veränderungen vorschlagen. Es funktioniert aber zeitlich nicht so gut. Normalerweise haben Schulen und Proben einen Zeitplan, jetzt vermischt sich alles.
Auf welche Rechte könntest du längerfristig kaum verzichten?
Eindeutig darauf, dass sich nicht mehr als zwei Personen treffen dürfen. Als Jugendlicher gehört es dazu, dass man in Gruppen unterwegs ist. Man kann sich nicht gesund entwickeln, wenn man ständig abgeschottet und isoliert ist. Es ist nicht natürlich. Längerfristig würde es auch nicht klappen, wenn ich auf die Schule verzichten müsste. Mein Tagesplan kommt durcheinander. Bisher musste ich mich nicht um einen strukturierten Tagesablauf kümmern. Das ist jetzt anders.
weiterlesen
weniger anzeigen
Susanne Weissl
15 Jahre
Schülervertreterin
Wien
Susanne Weissl
15 Jahre
Schülervertreterin
Wien
Am 20. November war der Tag der Kinderrechte. Werden diese während der Pandemie beachtet?
Natürlich, denn unsere Rechte werden vom Bundesministerium nicht einschränkt. Es gibt kein Recht darauf, direkt in die Schule zu gehen, sondern ein Recht auf Bildung. Es gibt ein Recht, nicht in Abgeschiedenheit zu leben. Aber unsere sozialen Kontakte werden uns nicht komplett genommen. Man muss mitdenken, das ist wichtig. Die Regierung versucht, uns so viel Rechte wie möglich zu einzuräumen, aber es ist nun mal eine Krisensituation.
Wie ist das als SV (Schülervertreter) in dieser Krise?
Gestern gab es eine Umfrage für die Oberstufe. Dort sollen Schüler*innen Feedback geben und von den Problemen berichten. Sind die Aufgaben vielleicht zu viel? Wir machen das auch bald für die Unterstufe. Unsere Schule hat auch dieses Jahr einen Instagram Account, wo neue Infos gepostet werden. Dann sind alle auf dem gleichen Stand. Wir haben auch eine Plattform für Fragen. Manche Fragen erhalten wir auch per WhatsApp oder Instagram. Damit sind wir ein Teil des Krisenteams, welches vom Direktor gegründet wurde. Wie das mit Lernen funktioniert, ob es Schichtbetrieb oder E‑Learning geben wird, wurde und wird mit uns besprochen. Wir geben auch Feedback.
weiterlesen
weniger anzeigen
Max Ben Romdhane
13 Jahre
Bregenz
Max Ben Romdhane
13 Jahre
Bregenz
Hast du Stress wegen dem E‑Learning?
Ich finde es anstrengend. Vor dem Computer zu sitzen macht nicht so viel Spaß. Es macht richtig müde. Manchmal telefoniere ich mit der Schulklasse. Das ist aber nicht dasselbe, wie gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Es ist stressig, wenn die Internetverbindung spinnt oder es Probleme mit dem Link gibt. Was passiert, wenn ich zu spät reinkomme? Wir machen eher neuen Stoff und jeden Montag zu einer bestimmten Zeit bekommen wir ein Arbeitspaket, welches man später wieder abgeben muss. Dann gibt es ein paar Aufgaben für mehrere Fächer, auch Partnerarbeit in Break-Out-Rooms auf Zoom. Das sind eigene Räume für Meetings, von denen man aber wieder ins Hauptmeeting zurückkehren kann. Mit dem Stundenplan ist es jetzt besser. Davor wusste man von einem Tag auf den anderen nichts Genaues. Aber nun ist alles besser. Man wird auch entspannter, denn man hat nicht so viele Verpflichtungen wie sonst.
Wie steht es mit euren Freiheiten? Werden diese eingeschränkt?
Es ist ein bisschen blöd, dass man sein Hobby nicht ausüben darf. Meine Schwester darf zum Beispiel nicht mehr zum Turnen und auch Profisportler brauchen eine Berechtigung. Ich kenne eine Sportlerin aus dem Ort, die mit dem Bürgermeister Briefe hin und her schickt. Ich hatte davor im Verein 7 Jahre Klettern und bin zurzeit in einem Skiverein. Aber da können wir nicht trainieren, obwohl ich so gerne fahre. Ich werde aber zur Jugendfeuerwehr gehen, das wird interessant.
weiterlesen
weniger anzeigen
E‑Learning und keine Freunde treffen – beides große Herausforderungen für die Jugend. Die jungen Leute aber finden neue Wege, um in Kontakt zu bleiben: Sei es per Videochat oder nur zu zweit unter Einhaltung der Abstandsregeln. Man vermisst dennoch seine Vereine und Aktivitäten mit mehr als einer Person. Die Jugendlichen und Kinder sind sich auch ihrer Pflicht bewusst und halten sich an die Maßnahmen. Sie denken an die Betroffenen und erkennen, dass die Maßnahmen und der Lockdown gute Gründe haben. Sie verzichten auf ihre Freiheiten, um die betroffenen Menschen zu schützen.
Perspektive gewinnen, was wissen wir?
Expert*innen im Interview
Wie wirkt sich die Pandemie auf die Psyche der Jugendlichen aus?
Hedwig Wölfl
Fachliche Leitung
Die Möwe
Hedwig Wölfl
Fachliche Leitung
Die Möwe
Heute wissen wir aus Daten von Studien, dass Kinder, welche vorbelastet sind, ganz besonders leiden. Wir haben viel gelernt und die Kinder auch. Sie bilden bereits Resilienz, also Widerstandskraft, um besser mit den Umständen umzugehen, aber es ist dennoch eine Ausnahmesituation. Sie können ihre FreundInnen und Peers nicht mehr treffen, obwohl es im Sommer in einer Unterbrechung noch möglich war. Kinder aus bildungsärmeren Schichten verlieren den Anschluss bei der Bildung. Sie kommen oft in der Schule nicht gut mit oder bekommen schwerer eine Lehrstelle. Gewalt in der Familie, psychische Probleme und Stress durch die Eltern sind typische Probleme für viele Kinder. Wenn die Eltern ein Video-Meeting haben, dann müssen sie leise sein. Gewalt im Haushalt hat um 10 bis 20 Prozent zugenommen, ebenso Ängste. Man hat vor vielem Angst, das ist auch nichts Schlechtes und muss nicht direkt zur Suizidalität führen. Wenn die Ängste den Alltag beeinträchtigen, braucht man psychologische Hilfe. Für viele fällt auch eine normale Versorgung weg, z. B. beim Zahnarzt, mit dem Mutter-Kind-Besuchen oder die Behandlung bei einem Sprachfehler. Es gibt darüber einen Bericht von der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich 2020)
Man spricht über den Lockdown als ein traumatisierendes Event für Kinder und Jugendliche. Wie sehen Sie das?
Man sollte aufpassen mit dem Begriff Trauma. Für manche kann dies der Fall sein. Psychologisch gesehen ist ein Trauma ein unerwartetes Ereignis, welches über uns hereinbricht und wofür wir keine Bewältigungsformen lernen können. Das ist auch für viele passiert, da Kinder mit einer neuen Situation konfrontiert waren. Viele haben eine Resilienz, also eine psychische Widerstandsfähigkeit, gebildet. Das Auskennen von vorher war nicht da, was auch zu einem Trauma führen kann. Allerdings führt nicht alles zu einem Trauma. Für die einen ist die Pandemie gefährlich, sie fühlen sich hilflos und ohne Schutz. Die anderen nehmen die Situation aber als sehr normal auf. Kinder mit einer guten Widerstandskraft (Resilienz) und wenig Vulnerabilität (Verletzlichkeit) sind diejenigen, die gut zurechtkommen. Es hängt von diesen zwei Faktoren ab. Womöglich sind sie in der Vergangenheit schon mit dem Tod der Oma konfrontiert worden und haben es gut überstanden. Aber es gibt auch verletzliche Kinder, welche traurig sind wegen des Auszugs der Schwester, keine Freunde haben wegen eines Schulwechsels, keine Lehrstelle finden, die belastet sind, weil die Eltern streiten, oder frustriert sind, weil der Sportverein ausfällt. Diese Kinder sind verletzlich und dann kommt der Lockdown und die Kinder sind überfordert.
Was halten Sie von E‑Learning und dessen Umsetzung?
Prinzipiell ist es super, dass es die Möglichkeit gibt, dass wir miteinander in Kontakt bleiben können. Das ist viel einfacher als früher. Aber man muss auch wissen, wie man damit umgeht. Wenn man zu viel Zeit virtuell kommuniziert und nicht im echten Leben, dann ist es was anderes. Man kann das normale Gespräch nicht ersetzen und sollte das auch nicht. In unserer Konsumgesellschaft ist es nicht gesund für Kinder, so viel Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen. Es gibt 7‑Jährige, die Fortnite spielen, und das ist nicht gesund. Wir leben alle mit technischen Geräten, aber man muss Kinder und Jugendliche darüber aufklären, was erlaubt ist und was nicht. Ein Junge verschickt aus Rache die Nacktbilder seiner Freundin und wundert sich dann über die Vorstrafe in seinem Register.
Wird sich der zweite Lockdown vom ersten unterscheiden?
Es ist eine politische Entscheidung. Aber bevor unser aller Gesundheit gefährdet ist, weil die
Spitäler überfüllt sind, müssen wir zusammenhelfen. Vor allem jetzt, wo Kindergärten und Schulen zu sind. Kinder, welche Probleme und Stress haben, sollten trotzdem gut von LehrerInnen betreut werden. Das Kind soll nicht nur den Laptop eingeschaltet haben. Es soll nicht nur in die Einrichtung gebracht werden. Dort soll nicht nur auf die Leistung geschaut werden, sondern auch, ob es den Kindern gut geht, emotional oder mental. Und sie sollen fragen können. Vielleicht haben sie kein stabiles Zuhause, haben Sorgen, oder sie werden geschlagen. Sie brauchen Bezugspersonen. Vor allem jetzt, da sie keine anderen Kinder oder Freunde treffen können.
Am 20. November ist der Tag der Kinderrechte. Werden diese während der Pandemie beachtet?
Ich hoffe schon. Es ist eine Herausforderung. Kinder haben ein Recht auf Freizeit, ein Recht auf Bildung, ein Recht auf ein Aufwachsen ohne Gewalt etc. Jugendliche sollen nachfragen, sich selbst einbringen, wie bei „Mund auf, Ohren auf, Kinder sprechen selbst“. Wie geht es ihnen wirklich? Nicht nur ich rede für die Kinder, sondern ihr selbst sagt, wie die Dinge sind: „Ich habe Angst, Wut oder Trauer.“ Das macht Mut, dass es Jugendliche gibt, die das in die Hand nehmen. Sie müssen hier in 50 Jahren noch leben und da sind alle Initiativen direkt von Jugendlichen äußerst hilfreich.
weiterlesen
weniger anzeigen
Wie beeinflusst die Pandemie Kinderrechte in Österreich?
Dr. Helmut Sax
Forscher am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte
Dr. Helmut Sax
Forscher am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte
Alles, was mit der Pandemie zu tun hat, hat letztlich auch mit den Kindern zu tun und damit auch Auswirkungen auf ihre Rechte. Ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, dass Covid-19 nicht nur eine Krankheit ist, sondern dass die Auswirkungen letztlich uns als ganze Gesellschaft betreffen. Die getroffenen Maßnahmen greifen zum Teil sehr stark in unser Privatleben ein. Man kann nicht mehr jeden Tag rausgehen, keine Freunde mehr treffen, und der Unterricht funktioniert weitgehend über Distance Learning. Das sind massive Auswirkungen, die es so noch nie gegeben hat.
Ganz generell würde ich sagen: Die Auswirkungen der Pandemie hat alle Kinder und Jugendlichen betroffen, und zwar in vielen Bereichen: Kinderrechte, Gesundheit, Bildung, im sozialen Zusammenleben, bis hin zu Konflikten und möglicher Gewalt.
Wie beurteilen Sie die Schließungen der Schulen mit Umstieg ins Distance Learning?
Ich war selbst dagegen, dass man Schulen einfach zusperrt. Letztendlich ist es so auch nicht gekommen, aber stattdessen haben wir eine „halbgute“ Lösung. Das Grundproblem war, dass Schule für Kinder und Jugendliche viele Funktionen hat. Natürlich geht es darum, dass man etwas lernt. Man geht aber auch hin, weil man Gleichaltrige trifft. Es ist erwiesen, dass man in Gruppen viele Dinge besser lernen kann. Schule hat viele Dimensionen, die für junge Leute sehr wichtig sind — auch dass man einmal raus kann von zuhause. Aus meiner Sicht hat man vorher zu wenig überlegt, wie man verhindern kann, dass es zu solchen Schulschließungen überhaupt kommt. Es ist sehr unterschiedlich, wie die Schulen mit der Situation umgehen und wie sich dies auf die Kinder auswirkt. Man überlässt mehr oder weniger den Schulen, wie die Lehrer damit zurecht kommen sollen. Das ist eine ziemliche Anforderung, würde ich sagen.
Könnten die aktuellen Einschränkungen der Kinderrechte auch längerfristige Folgen haben?
Wenn schon längerfristige Folgen, dann hoffe ich, dass etwas Positives übrig bleibt. Das fängt auf einer ganz einfachen Ebene an: Gerade die Schulen haben jetzt gesehen, dass sie sich mit Technik, Internet und digitalen Medien beschäftigen müssen. Wenn es bisher um Handys in der Schule ging, war die einfachste Lösung immer: Am besten verbieten. Jetzt sieht man, wie extrem wichtig digitale Medien sind und wie kurzsichtig bisher eigentlich gedacht wurde.
Die andere Frage ist: Wer kann sich ein Handy oder ein Tablet leisten? Im Distance Learning hat im Idealfall jedes Kind einen eigenen Computer. Den können sich viele nicht leisten. Kinder mit guten Rahmenbedingungen können auch ganz gut von zu Hause aus für die Schule lernen. Aber wie geht es Kindern, die nicht solche Grundvoraussetzungen haben?
Ich habe in der Diskussion bis jetzt ganz wenig gehört, dass man sich Gedanken macht, wie es ärmeren Familien mit weniger Geld in Österreich geht. Oder anderes Thema: Integration und Inklusion von Kindern mit Behinderungen, nicht nur auf die Bildung selber bezogen. Alle jene, die es extraschwer haben, darf man jetzt nicht vergessen und zurücklassen. Dass das nicht so sein soll, sagt sich schnell. Aber man wird sich in Zukunft sehr genau anschauen müssen: Was hat diese Pandemie mit verschiedenen Gruppen, gerade mit Kindern, Jugendlichen und Familien, gemacht? Welche neuen Risiken sind entstanden und wie kann man darauf reagieren?
Kinder spielen in dieser Pandemie keine Hauptrolle, sie sind keine Risikogruppe. Finden Sie dennoch, dass man mehr Rücksicht auf Kinder in der Pandemie nehmen sollte?
Ja, definitiv. Junge Leute sind Teil unserer Gesellschaft. Bis jetzt wurde zu wenig auf sie gehört. Es gibt zwar an sich ExpertInnen, die auch die Regierung beraten, aber das sind alles letztlich Erwachsene. Mir ist nicht bekannt, dass man in Österreich eine Umfrage gestartet hätte: Wie geht es den Kindern und Jugendlichen mit den Auswirkungen mit der Pandemie? Darum finde ich es auch super von euch, dass ihr über den Blog von jung&weise die Möglichkeit schafft, dass junge Leute, aber auch ältere wie ich (lacht), gehört werden.
Wenn es irgendein Wirtschaftsthema gibt, dann setzen sich auch die Erwachsenen zusammen, die in dem Bereich arbeiten. Sie besprechen und organisieren sich, melden sich zu Wort und stellen Forderungen. Genauso sollte es bei jungen Leuten sein, wenn es um Fragen wie Bildung, Kinderkultur oder Freizeiteinrichtungen geht.
Was würden Sie konkret für Kinder und Jugendliche verändern?
Wenn es um den Umgang mit der Pandemie geht, sollten junge Leute miteinbezogen werden und zu Wort kommen. Ganz generell finde ich auch, es wäre eine Gelegenheit, das Thema „Was heißt Gesundheit?“ noch einmal etwas breiter zu diskutieren. Es geht nicht nur darum, dass man schwere Lungenkrankheiten bekommen kann. Dass Leute zuhause bleiben, sich isolieren, und gerade auch die jungen Leute davon betroffen sind: Das sind auch alles Gesundheitsthemen. Auch die Internationale Weltgesundheitsorganisation sagt: Gesundheit definiert sich nicht nur durch das Fehlen einer Krankheit. Man kann sich nicht krank fühlen und trotzdem nicht gesund sein, weil man sich einfach nicht wohlfühlt. Gesundheit hängt auch damit zusammen, dass man sich mit anderen Menschen trifft und sich austauscht.
Ich denke trotzdem: Die Erfahrungen, die wir alle jetzt machen, sind auch etwas Einzigartiges. Hoffentlich kann man sie auch für etwas Positives nutzen. Alle Leute, die diese Krise bewältigt haben, können auch darauf stolz sein. Das ist nichts, was normal ist, nichts Selbstverständliches. Es freuen sich eh schon wieder alle auf die Zeit danach, wenn das normale Leben wieder weitergeht. – Aber hoffentlich mit ein paar Erfahrungen, die man in der Krise gemacht hat: Was gut funktioniert hat, und was nicht gut funktioniert hat. Dass wir halt „gscheiter“ werden, als ganze Gesellschaft, inklusive der jungen Leute.
Dr. Helmut Sax ist Forscher am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte.
Er arbeitet zu den Bereichen Frauen- und Kinderrechte, Menschenhandel,
Menschenwürde und öffentliche Sicherheit und ist im Vorstand des Netzwerks
Kinderrechte Österreich.
weiterlesen
weniger anzeigen
Eingeschränkte Kinderrechte in der Pandemie
Was sagen die Medien dazu?
Die Medien zeichnen ein recht klares und einheitliches Bild: Viele Kinderrechte werden momentan eingeschränkt. Das betrifft nicht nur das Recht auf Bildung. Kontaktverbote und geschlossene Freizeitbetriebe verletzen darüber hinaus die Rechte auf Spiel, Freizeit und gesellschaftliche Teilhabe. In den Medien wird allerdings besonders das Recht auf Bildung betont. Unterschiedlichste Voraussetzungen im Homeschooling führen dazu, dass vor allem Schüler*innen mit Lernschwächen noch weiter zurückfallen werden. Eine weitere Folge des Lockdowns, die Kinder trifft, ist die Zunahme psychischer und physischer Gewalt. Wenn Familien viel Zeit auf engem Raum verbringen müssen, können Konflikte schneller eskalieren. Gleichzeitig ist es für Außenstehende während des Lockdowns oft schwierig, Probleme dieser Art zu bemerken.
In den Medien wird eines klar: Kinder und Jugendliche gehören zwar keiner Risikogruppe an, leiden aber besonders unter den Folgen des Lockdowns. Selbst in einer Pandemie darf man Kinderrechte nicht aus den Augen verlieren. Auch wenn viele aktuelle Einschränkungen notwendig sind: Ein wacher und kritischer Blick auf die getroffenen Maßnahmen bleibt unverzichtbar.