Perspektive Generationen: Miteinander neue Lösungen finden
Allgemein
Di 03.08.2021
Wohnen in Zukunft:
Wie soll das gehen?
Ein Beitrag von Viktoria Ganahl
Wie steht es um das Wohnen in Vorarlberg? Die Mietpreise steigen in vielen Gebieten, der verfügbare Boden wird immer knapper und die Bauweise dichter. Gleichzeitig gibt es aufgrund des Klimawandels immer heißere Tage im Sommer. Es ist klar, wir müssen uns die Frage stellen: Wie kann Wohnen in Zukunft aussehen? Tendenziell wohnen die Menschen auf immer kleinerem Raum: Viele haben wenig Platz oder keinen eigenen Garten. Deshalb reicht eine leistbare Wohnung für ein gutes Wohngefühl allein nicht aus. Es braucht zusätzlich Plätze außerhalb der eigenen vier Wände, an denen man sich gerne aufhält. Auch wir jungen Leute möchten uns konsumfrei mit Freund:innen treffen. Kurz gesagt: Es sind gute, zukunftsfähige Lösungen gefragt. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, habe ich mit verschiedenen Menschen gesprochen. Wie hat sich das Wohnen in ihren Augen verändert und was wünschen sie sich für die Zukunft? Eines steht schon mal fest: Unsere Lebenswelt verändert sich. Dadurch entstehen aber auch viele neue, zukunftsorientierte Wohnkonzepte. Welche Baustoffe werden dabei eine Rolle spielen, und wie erreichen wir unsere Ziele im Einklang mit dem Planeten?
Max Capelli
14 Jahre
“ich wohne in einem Dorf”
Max Capelli
14 Jahre
“ich wohne in einem Dorf”
Wenn du aus deinem Fenster schaust, was siehst du?
Ein Baumhaus, einen Wald und die Stadt.
Wie wohnst du selbst?
Ich wohne in einem Haus am Hang
Wenn du ein Haus für deine Familie bauen würdest, wie würde das ausschauen?
Schlicht und einfach, mit natürlichen Baustoffen und Holz.
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Julia Domig
15 Jahre
“lebhaftes Dorf/lebhafte Gemeinde”
Julia Domig
15 Jahre
“lebhaftes Dorf/lebhafte Gemeinde”
Was wird in deiner Nachbarschaft gebaut und wie?
Hauptsächlich sind hier Ein- und Zweifamilienhäuser. Ich wohne in der Nähe vom Bahnhof, dort stehen Wohnblöcke. In unserer Straße ist es eher still. Ich sehe zwar die Hauptstraße, aber zu uns fahren recht wenig Autos. Bei uns stehen eher Familienhäuser.
Was würdest du für ein Haus für deine Familie bauen?
Ich würde darauf achten, dass wir einen großen Garten haben. Dann kann man rausgehen. Große Fenster würde ich auf jeden Fall machen. Man braucht erstens nicht so viel Strom, und Sonnenlicht ist sicher besser als das Licht von der Lampe. Ich würde schauen, dass Holz integriert ist. Das macht das Ganze wohnlicher. Ich fände es auch interessant, ein Haus aus Lehm zu bauen (wie im Workshop von Lehm Ton Erde). Das finde ich ganz spannend.
Was würdest du in deiner Gemeinde bauen, wenn du könntest?
Eventuell einen Platz, an dem sich junge Leute, egal in welchem Alter, treffen können. Und wo man vielleicht man auch Sport betreiben kann. Wir haben einen Basketballplatz und einen Fußballplatz, diese werden allerdings von den Vereinen genutzt. Ich fände es cool, wenn die jungen Leuten die Plätze jederzeit verwenden können. Man muss aber auch darauf achten, dass der Platz nicht verschmutzt wird. Jemand muss darauf schauen und Verantwortung dafür übernehmen.
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Elina Holdermann
15 Jahre
“Dorf”
Elina Holdermann
15 Jahre
“Dorf”
Wie wohnt ihr selbst?
Meine Familie und ich wohnen mit meiner Oma (im oberen Stock) in einem Haus.
Was würdest du für ein Haus für deine Familie bauen?
Ich würde darauf schauen, dass die Rohstoffe und die Heizung umweltfreundlich sind. Mir wäre viel Platz wichtig, und dass mehrere Generationen in dem Haus wohnen können. Dadurch wäre es möglich, dass auch die Kinder darin leben.
Was würdest du in deiner Gemeinde bauen, wenn du könntest?
Einen Platz, wo die Jugendlichen hingehen können. In unserem Dorf gibt es nichts Geeignetes. Wir brauchen Orte, an denen man zusammen Sport machen kann — oder vielleicht auch einen Jugendtreff.
Hat sich deine Wohngegend in den letzten Jahren verändert?
Bei uns war eigentlich alles schon bebaut. Aber als meine Oma und mein Papa selbst noch jünger waren, da war zuerst noch eine größere Wiese. Auch das Altersheim war noch nicht da. Das ist vieles dazugekommen.
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Paulina Fraisl
12 Jahre
“ein sehr kleines Dorf, aber sehr schön”
Paulina Fraisl
12 Jahre
“ein sehr kleines Dorf, aber sehr schön”
Was würdest du für ein Haus für deine Familie bauen?
Nicht mitten in der Stadt: irgendwo, wo viel Wiese und Wald ist. Was ich schön fände, wäre ein Holzhaus.
Hast du einen Lieblingsplatz in deiner Wohngegend?
Ja, im Wald haben wir einen Bach, dort ist es ziemlich schön. Es schaut aus wie im Dschungel.
Hat sich deine Wohngegend in den letzten Jahren verändert?
Ja, viele neue Wohnblöcke sind dazugekommen. Und ein paar neue Häuser, wenn ich es mir recht überlege, sind es eigentlich viele neue Häuser. Seit man hier angefangen hat, mehr zu bauen, hat man Schilder für die Autos aufgestellt: „Hilfe, ihr seid zu viele!“
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Reinhold Strieder
Architekt in Pension
Reinhold Strieder
Architekt in Pension
Wie hat sich Ihre Nachbarschaft in den letzten 20, 30 Jahren verändert?
Meine Nachbarschaft? Alle sind älter geworden. (lacht) Es wird viel mehr gebaut. Es ist alles viel dichter. Außerdem hat sich der Aktionsradius vergrößert: Die öffentlichen Verkehrsmittel sind viel besser ausgebaut.
Früher hat man größer gebaut, jetzt geht die Tendenz immer mehr Richtung Wohnung. Man ist meiner Meinung nach nicht mehr so ortsgebunden wie früher.
Wie wohnen Sie selbst?
Ich wohne sehr nachhaltig. Wir haben 1984 Reihenhäuser gebaut, das waren die ersten in Satteins. Die Häuser haben eine Grundstücksgröße von 400 Quadratmetern. Sie sind aus Holz und ohne chemische Konservierungsmittel. Wir haben damals ökologisch gebaut. Das war gar nicht so einfach, weil man das Material nicht so leicht bekommen hat. Die Nachfrage war sehr gering, weil “bio” bei den meisten Bauverantwortlichen gar kein Thema war. Heute sind wir stolz darauf.
In meiner Umgebung ziehen viele junge Familien wieder bei ihren Eltern ein. Ist das Zufall?
Das ist kein Zufall, sondern hängt sicher mit der finanziellen Situation zusammen. Es gibt erstens einmal wenig Baugrund. Ich finde, dass es eine ganz vernünftige Lösung ist, wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben: So kann man sich die Ressourcen teilen. Auch wenn das nur heißt, dass die Oma oder der Opa einfacher aufs Kind aufpassen können. Dass jeder sein eigenes Haus baut, finde ich eigentlich nicht gut. Man sollte heute auch schon bei Neubauten ein bisschen mehr darauf schauen, ob man das Haus später einmal teilen oder man dranbauen kann?
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Brunhilde Häusle
Floristin in Pension
“ein größeres Dorf”
Brunhilde Häusle
Floristin in Pension
“ein größeres Dorf”
Wie wohnen Sie selbst?
Ich bin in Pension und lebe alleine. Meine Kinder sind Erwachsen und ich habe jetzt eine kleine Zweizimmerwohnung mit 50 Quadratmetern, mit einer ebenerdigen Terrasse.
Sind beim Wohnen für Sie andere Aspekte wichtig als früher?
Ja, natürlich: Früher hatten wir die Kinder. Da musste die Wohnung anders aussehen als jetzt. Meine jetzige Wohnung ist klein und für mich gerade recht. Ich habe nicht so viel Arbeit beim aufräumen und putzen. Und die Miete ist auch nicht so hoch. So kann ich mir nebenher auch noch was leisten.
Was ist für Sie besonders wichtig im Bereich wohnen?
Mir war es immer wichtig, dass die Wohnung möglichst ebenerdig ist und dass es eine natürliche Umgebung gibt. Eigentlich ist das für mich noch wichtiger wie die Größe der Wohnung. Ich muss ins Grüne können. Ich genieße, dass ich von meiner Wohnung schnell draußen am See und in der Natur bin.
Was würden Sie sich für die jüngere Generation in Bezug auf Wohnen wünschen?
Ich bin immer ein bisschen schockiert, dass man jetzt Wohnblöcke baut, die alle gleich ausschauen. Zehnmal dieselbe Küche, Kabinett und Balkon. Die Materialien sind oft auch nicht gesund. Ich würde mir wünschen, dass sich für die jüngere Generation das Wohnen insofern verändert, dass Grünflächen erhalten bleiben. Ich finde es wichtig, dass man an seinem Wohnort ins Grüne kann, so wie ich es kann. Ich würde mir gute Materialien und ein schönes Umfeld wünschen.
Und natürlich, dass man sich das Wohnen einfach leisten kann. Es sollte ein Menschenrecht sein, dass sich jeder eine Wohnung leisten kann. So wie das jetzt ist, dass die Leute kaum noch die Miete zahlen können und nur noch fürs Wohnen arbeiten — das ist meiner Meinung nach ganz schlimm.
Gibt es noch etwas Wichtiges, was Sie mir gerne erzählen würden?
Man verändert sich ja im Laufe der Jahre: Zum Beispiel wenn man Kinder hat, braucht man mehr Platz und ganz andere Wohnungen.
Ich konnte meine Wohnverhältnisse immer an mein Leben anpassen. Jetzt lebe ich auf wenigen Quadratmetern, aber man kann es sich schön gemütlich machen. Ich habe keinen Gemüsegarten, aber einen Gemeinschaftsgarten in Höchst. Dort kann ich Gemüse anbauen. Ich denke, ich habe alles, was ich brauche.
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Für alle Generationen ist besonders wichtig, im Grünen zu leben und die Natur vor der Haustüre zu haben. Für ihre eigene Familie würden die interviewten Jugendlichen gerne ein Haus aus nachhaltigen Baustoffen wie zum Beispiel Lehm oder Holz bauen. Ein weiterer Aspekt: Manche jungen Leute leben bereits mit der eigenen Familie und den Großeltern, in einer separaten Wohnung, unter einem Dach. Sie können sich gut vorstellen, selbst einmal ein Mehrgenerationenhaus zu bewohnen.
Alle können davon erzählen, dass in den letzten Jahren viele neue Wohnblöcke in den Dörfern gebaut wurden. Bedauert wird, dass viele der Wohnanlagen sehr gleich und monoton aussehen. Wichtig: Der Anspruch von jungen Leuten Häuser mit nachhaltige Baumaterialien zu errichten, lässt sich auch auf Wohnblöcke übertragen.
Was den jungen Leuten im Dorfbild manchmal fehlt: Jugendräume oder Sportplätze, an denen sich speziell Jugendliche treffen und aufhalten können. Auch Orte, an denen sich die Menschen generationen- und gruppenübergreifend treffen, sind vielen wichtig. Sie machen die Wohngegend lebenswerter.
Fragt man die ältere Generation, stellt sich heraus: Wenn die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, wirkt das Einfamilienhaus plötzlich viel zu groß. Viele ältere Personen bewohnen ganz alleine ein großes Haus. Wer im Alter in eine kleinere Wohnung umzieht, ist flexibler und hat weniger Arbeit. Das frühere Haus kann jüngeren Familien überlassen werden.
Für die jüngere Generation wünschen sich die Erwachsenen, dass das Wohnen leistbar bleibt und freie Grünflächen auch in dichteren Wohngegenden erhalten bleiben. Außerdem wünschen sie sich gute, nachhaltige Materialien für die Wohnungen und Häuser der Zukunft.
Perspektive gewinnen
Die größten Herausforderungen: Insgesamt gibt es zu wenige leistbare Wohnungen, der Bedarf wächst schneller als das Angebot. Auch der Boden wird immer kostbarer und dadurch teurer. Gleichzeitig schreitet der Klimawandel weiter voran und sorgt für stetig heißere Temperaturen. Doch wie finden wir für diese großen Probleme nachhaltige Lösungen?
Expertinneninterview
mit Marina Hämmerle
Um mein Wissen zu vertiefen, habe ich mit Marina Hämmerle gesprochen. Sie ist Architektin und war von 2005 bis 2012 Direktorin des vai Vorarlberger Architektur Instituts. Seit 2013 betreibt sie in Lustenau ihr Büro für baukulturelle Anliegen. Sie ist auf kommunaler (Gemeindeebene), regionaler und internationaler Ebene in den Bereichen Architektur und Städtebau aktiv. Marina Hämmerle berät, schreibt, juriert und ist auch als Kuratorin tätig.
Sie sprach mit mir über Lösungsansätze: Beispielsweise, wenn es um die Nachverdichtung von Dörfern und Städten geht. Im Austausch erzählt sie unter anderem, welche Vorteile Begrünung in Dörfern und Städten mit sich bringt, wie man die Atmosphäre eines Ortes erhält und welche Wohnkonzepte Zukunftsperspektive haben.
Marina Hämmerle
Marina Hämmerle
Was sind die größten Herausforderungen für die Raumplanung in den ländlichen Gebieten?
Der Begriff “Ortsentwicklung” betrifft eigentlich die Innenentwicklung der Dörfer und Städte. Die “Raumplanung” hingegen bezieht sich auf die Landesebene. Es geht in der Raumplanung darum, dass die die Zusammenschau aller Dörfer gelingt und dass man über kommunale Interessen hinweg gestaltet und lenkt. Deshalb würde ich gerne auf beide Punkte eingehen.
Beispielsweise bei der Ansiedlung eines Gewerbegebiets oder ein wichtigen Schulbauprojekts: Das darf nicht Sache einer Gemeinde sein, sondern muss immer im größeren Zusammenhang gesehen werden. Wo ist denn der geeignete Standort hinsichtlich Mobilität, Anbindung an den öffentlichen Verkehr? Wie kommen die Menschen dahin? Wie kann man ermöglichen, dass die Menschen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umsteigen?
Dann ein wichtiger Punkt der Raumplanung in Vorarlberg: Die Sicherung der Landesgrünzone. Diese ist schon seit mehr als 40 Jahren festgeschrieben. Es geht darum, dass dieser zentrale Grünraum im Rheintal auch wirklich als solcher erhalten bleibt.
Ein weiteres Spezifikum aus Vorarlberg: Wir haben unglaublich viele Baulandreserven. Bei uns gibt es z.B. über die Erbteilung viele Flächen, die noch weitergegeben oder gekauft werden können. Dadurch entsteht ein enormer Druck von den Bauträgern auf diese Freiflächen, welche im Dorfbereich aber sehr wichtig sind. Es geht darum, dass die Dörfer nicht komplett zuwachsen. Wir müssen nachverdichten, weil der Boden knapper, kostbarer und dadurch immer teurer wird. Aber gerade deshalb müssen wir auch schauen, dass wir im Siedlungsraum auch qualitative Freiflächen erhalten, die allen zugänglich sind.
Was in Vorarlberg ebenfalls augenscheinlich ist: sehr viel an Freiraum ist privat. Auch wenn die Wiesen grün sind und die Obstbäume darauf wachsen, der Großteil des Siedlungsraumes gehört immer irgendjemandem. Dieser ist meistens in privater Hand und für die Allgemeinheit eigentlich nicht nutzbar. Hier müssen die Kommunen lenkend eingreifen und das Land Vorarlberg muss im Blick haben: Wie können räumliche Entwicklungskonzepte angelegt werden, damit genügend öffentlicher Freiraum für alle Menschen garantiert wird.
In Bezug auf die Freihaltung von Grünflächen und die Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln: Hat sich in diesen Bereichen in den letzten 20 Jahren etwas verändert?
Viele Dörfer verlieren im Zuge der Nachverdichtung ihre Charakteristika. Sie werden austauschbar, weil überall die gleichen Wohnbauten entstehen. In den Nachkriegsjahrzehnten wurden zu wenige Visionen generiert: Wie könnte dieses Quartier in 20 Jahren aussehen? Wie sollte sich dieser Straßenzug entwickeln? Und so verschwinden die Eigenheiten von Straßenzügen oder Quartieren.
Nicht einmal heute haben alle Gemeinden auf dem Schirm, dass man das räumliche Entwicklungskonzept so betrachten könnte. Es geht nicht nur um die Bevölkerungsdichte oder Geschosshöhen, also um technische Werte. Es geht auch um Atmosphäre. Welche Atmosphäre möchte man in diesem oder jenem Quartier? Da wäre es wichtig, dass die Entscheidungsträger, in diesem Falle die Kommunen, Vorstellungen entwickeln, wie sich das Dorf weiter gestalten könnte. So dass wir auch fit sind für die Herausforderungen unserer Zeit, wie Klimawandel und Klimaanpassungsmaßnahmen. Das bedeutet, wir müssen Grünräume von Beginn an bei der Orts- und Stadtplanung mitdenken. Aber nicht nur als Räume, wir müssen auch an den Bauwerken und der Architektur etwas machen.
Gibt es in Rezept für einen guten Platz, der für alle Bewohner:innen funktioniert?
Ein Rezept könnte sein, dass man sich an dem orientiert, was die Menschen gerne haben, auch was die Tiere & Pflanzen brauchen. Dann hätte man schon einmal Anhaltspunkte, wo die Reise bei der Stadt- und Dorfentwicklung hingehen könnte. Das heißt: Menschen lieben Plätze, wo man sich gut aufhalten kann, wo Baumschatten da ist. Wenn Fassaden begrünt sind oder üppiger Baumschatten vorhanden ist, können die Temperaturen deutlich gesenkt werden. Wenn ich hier im Zentrum von unserer Terrasse hinunter schaue, dann sehe ich: Jedes halbe Jahr verschwinden wieder wichtige Bäume.
Als ich gestern in Zürich war mit Kolleginnen, hat uns eine befreundete Architektin ein von ihr geplantes Wohnhaus gezeigt, eine Nachverdichtung. Der Neubau liegt inmitten etlicher Altbauten, an der Straße steht vis-à-vis ein großes Bürogebäude. Das mehrgeschossige Gebäude besetzt eine kleine Lücke, ist eine gelungene Komposition die wirklich mit dem umliegenden Bestand interagiert. Es nimmt den Geist dieses Ortes auf, das nennt man genius loci: Das Gebäude erzählt und transportiert die Geschichte, die sich an diesem Ort entwickeln konnte. Und siehe da: Das neue Gebäude hat eine Selbstverständlichkeit, als ob es immer schon da gewesen wäre. Weil es mit den anderen Gebäuden in Kontakt tritt und sich auf wunderschöne Art und Weise Zwischenraum-Situationen ergeben, die Qualität haben, wie beispielsweise der Blick von den Balkonen durch zwei Gebäude hindurch bis zur nächsten Häuserzeile oder wie die Gärten ineinander spielen und das Terrain, das Gelände darin aufgenommen wird.
Oftmals nehmen die Neubauten keinen Bezug auf das, was bereits da ist. So spielt auch die Topographie eine große Rolle. Das verstehe ich unter Atmosphäre. Wenn man in der Lage ist, einen Ort zu lesen, entsteht atmosphärische Dichte. Das gelingt, wenn man es versteht den Ort zu lesen: Was sagt mir dieser Ort? Und was braucht er, damit ich ihm nichts wegnehme, sondern ihm etwas hinzugebe? Dann entsteht Atmosphäre, wird aus einer Planung gute Architektur.
Was sind denn Baumaterialien für die Zukunft, gerade hinsichtlich Vorarlberg?
Ich würde das nicht auf einzelne Materialien beschränken. Aber Holz hat die „Nase vorne“, vor allem was die Klimabilanz anbelangt. Andererseits finde ich es auch ganz wichtig, dass man historische Bauten oder die Gebäude der 60er und 70er Jahre wieder ertüchtigt. Ich bin der Meinung, dass dieser Bestand sehr wichtig ist und so viel wie möglich renoviert werden sollte. Das Motto der Stunde lautet meiner Meinung nach: Das nützen, was da ist! Das bedeutet, so viel als möglich den Altbestand verbessern und ertüchtigen, sodass er für die nächste Zeit gewappnet ist.
Was ich nicht gut finde: Polystyrolplatten sollten nicht als Wärmedämmmaterial verwendet werden. Diese sind aus Petrochemie hergestellt, verrotten kaum und sind sehr schwer trennbar vom massiven Baustoff, wie zum Beispiel Beton und Ziegel, auf diese die Platten aufgeklebt werden. Die Klimaziele rechtfertigen nicht, umweltschädliche Materialien zum Einsatz zu bringen, nur damit man den Heizwert und die Energiekosten senken kann.
Sie haben im Zuge ihrer Berufserfahrung viele unterschiedliche Wohnkonzepte kennengelernt. Gab es da für Sie ein persönliches Highlight? Ein Konzept, bei dem Sie sich gedacht haben: Das ist nachhaltig oder zukunftsfähig?
Was nachhaltige Wohnkonzepte anbelangt, hat die Schweiz eine Vorreiterrolle. Dort gibt es die genossenschaftliche Form des Wohnens: Man wird Genossenschafter:in und zahlt einen Anteil ein. Es gehört der Gemeinschaft, man kann mieten und kaufen. Diese Wohnbauten beinhalten oft auch Clusterwohnungen, d.h. man lebt wie in einer großen Wohngemeinschaft, hat aber eigene Räumlichkeiten Innerhalb der beispielsweise 300–350 Quadratmetern. Im kollektiven Wohnzimmer findet man sich dann am großen Mittagstisch ein. Oder die Wohnungen sind in normaler Größe und gegessen wird in einer Art Kantine, die von der Gemeinschaft betreut wird. Darüber hinaus regen weitere Gemeinschaftseinrichtungen zur generationenübergreifenden Geselligkeit an. Man lebt im Verband und kann sich dennoch auf seine Privatheit zurückziehen.
Es gibt dort auch viele Projekte von Frauen, die im Alter nicht mehr in ihren zu großen Häusern leben wollen. Sie schließen sich zu Baugruppen zusammen und errichten dann z.B. ein 5‑geschossiges Bauwerk mit guter Architektur. Aber dafür braucht es eine gewisse Offenheit: Dass man sein Haus loslassen kann, in dem man möglicherweise mit der Familie über Jahrzehnte gelebt hat und es nun an die Jüngeren übergibt. Und dass man sagen kann: Okay, im letzten Lebensabschnitt hätte ich es gerne ein bisschen einfacher, kommunikativer und geselliger. Man muss bereit sein, sich noch einmal zu verändern.
Ganz wichtig finde ich auch: die Qualität der Außenräume. Der Außenraum ist mindestens genauso wichtig für eine Anlage. Denn die Stadt ist eigentlich die Wohnung für alle. Die Plätze sind die Räume, der Wohnraum oder das Musikzimmer, die Gassen sind die Gänge dazwischen und die Häuser machen die Fassaden der Stadt. Arno Brandlhuber, ein Architekt aus Berlin, hat einmal gesagt: Zuerst die Stadt und dann das Haus. Die Stadt ist wichtiger als das Einzelhaus. Das sollte auch ein Grundsatz sein, wie man Dorf oder Stadt entwickelt. Dass man zuerst denkt: Was setze ich hier rein, damit dieser Platz nicht schlechter, sondern im besten Falle besser wird? Denn in der Regel bedeutet bauen ja, dass man dem Ort etwas wegnimmt. Da war im Vorfeld eine Wiese, da waren Obstbäume, vielleicht ein Bach. Wir müssen uns immer überlegen: Was ist der Ausgleich? Was geben wir zurück, damit es besser wird als zuvor – oder, wie gelingt es zumindest die bestehende Qualität zu erhalten?
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Innovative Wohnkonzepte
Dieses Gebäude wurde in den Altbestand hineingebaut. Im Erdgeschoss befindet sich eine Kinderkrippe, die sich um den biodiversen Garten kümmert. Die umliegenden Bauten haben Hochsprünge und Versätze im Dach und den Terassen. Das wurde auch bei der Planung des neuen Gebäudes miteinbezogen. Man sieht eine Verwandtschaft: Das neue Haus hat zum Beispiel ein besonderes Geländer, das an die analogen Geländer der umliegenden Bauten erinnert. Durch diese Details harmonieren die Gebäude zusammen.
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Auf der Straßenseite hat man den Blick in die Gasse. Die versetzten Wohnungen ermöglichen dies von jedem Wohnzimmer aus.
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Diese Wohnanlage steht in Zürich und wurde den Architekten Knapkiewicz & Fickert geplant. Die Stadt Zürich hat hier erschwingliche Wohnungen direkt im Seefeld für die Bürger:innen finanziert. Viele Feinheiten machen diese Wohnanlage einzigartig: farbige Fenster, zweistöckige Wohnungen oder Sitzmöglichkeiten im Innenhof. Im großen Hof steht eine zweigeschossige Fahrradgarage. Auf dem Deck gibt es einen offenen Raum für Feste, Partys oder zum Beispiel Kinder-Bastelnachmittage. Gemeinsame Flächen, um die Bewohner:innen miteinander in Begegnung zu bringen.
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Der Eingangsbereich wurde mit einem großen, außergewöhnlichem Mosaik gestaltet. Schon beim Eintreten ins Stiegenhaus weiß man: Hier bin ich zuhause.
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Was die Medien dazu sagen
und weitere Beiträge zum Thema
Die Medien machen deutlich: Wir stehen beim Thema Wohnen zukünftig vor großen Herausforderungen. Die größten davon sind einerseits der Klimawandel, der die Temperaturen immer weiter steigen lässt. Andererseits wird der Platz in Dörfern und Städten immer knapper, leistbare Wohnungen sind in vielen Regionen Mangelware.
Damit Wohnen in Zukunft funktionieren kann, müssen viele Bereiche des Wohnens neu gedacht werden. In den Medien wird bereits ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Konzepten und Lösungen dafür vorgestellt. Das reicht von der Fassadenbegrünung über Niedrig- und Plusenergiehäuser bis hin zu Tiny Houses oder flexiblen Wandsystemen. Die Forschung beschäftigt sich außerdem mit der Frage, wie neue, umweltfreundliche Baustoffe entwickelt werden können. Laut den Medien werden uns nachhaltige Baumaterialien, begrünte Dörfer und Städte sowie mehr öffentliche Plätze auch schon in den nächsten Jahren immer häufiger begegnen. Viele andere Ideen sind hingegen noch Visionen und keine Realität. Aber je facettenreicher das Thema Wohnen in der Gegenwart überdacht wird, umso vielfältiger werden unsere zukünftigen Lösungen dafür sein.
Lösungsansätze
Wie kann Wohnen in Zukunft gehen? Um mich dieser Frage anzunähern, habe ich mit ganz unterschiedlichen Personen gesprochen. Es zeigt sich: Egal, ob man mit jungen Leuten, Erwachsenen oder Experten und Expertinnen redet — alle haben dieselben Anliegen und denken in eine sehr ähnliche Richtung.
Eines ist schon mal klar: Damit Wohnen auch in Zukunft funktionieren kann, muss berücksichtigt werden, was für die Menschen und die Natur gut ist. Wenn wir davon ausgehen, ergeben sich bereits viele Lösungsansätze:
- Plätze, an denen sich alle Menschen treffen können: Es braucht genügend öffentlichen, qualitativ hochwertigen Freiraum, der nicht privatisiert ist.
- Menschen und auch Tiere halten sich gerne im Grünen auf. Begrünte Fassaden und Bäume im Dorf schaffen nicht nur eine angenehme Atmosphäre, sondern können die Temperatur senken. Auch biodiverse Gärten und Wiesen sind Orte, an denen man gerne verweilt und die für Mensch und Natur gut sind.
- Gemeinschaftsgärten sind vor allem in dichter besiedelten Gebieten eine gute Lösung für alle, die keinen eigenen Garten haben.
- In vielen Dörfern gibt es ungenutzte Kubatur, die man renovieren und wieder wohnlich machen könnte. Dieser Lösungsansatz ist nicht nur nachhaltig, sondern spart auch wertvollen Boden, der immer kostbarer und teurer wird.
- Projekte wie zum Beispiel Schulen oder Gewerbegebiete müssen in einem größerem Zusammenhang überdacht und geplant werden. Wo ist die passende Lage für dieses Gebäude? Ist dieser Ort mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar? In solche Planungsprozesse gehören nicht nur die Entscheidungsträger:innen der Kommunen, sondern im Falle Mitglieder der Zivilbevölkerung miteinbezogen.
- Bei der Planung eines Gebäudes ist es wichtig, den Charakter bzw. die Atmosphäre eines Ortes zu berücksichtigen. Ausgehend davon kann man versuchen, das neue Gebäude möglichst gut in die Umgebung zu integrieren. Dass ein neues Haus sich in die Landschaft einfügt und mit den anderen Gebäuden harmoniert, bezeichnet man als “genius loci”.
- Wer in einem Mehrgenerationenhaus wohnt, kann sich die Ressourcen teilen. Es ist eine gute Idee, sich beim Neubau schon zu überlegen: Könnte dieses Haus später einmal ausgebaut oder geteilt werden?
- Viele Dörfer und Städte werden immer weiter verdichtet. Gerade deshalb ist es aber wichtig, dass freie Grünflächen in den Wohngegenden erhalten bleiben, die von allen genutzt werden können.
- Ein weiterer wichtiger Punkt: Wohnen flexibel zu sehen und dem jeweiligen Lebensabschnitt anzupassen. Beispielsweise ziehen viele ältere Menschen in eine kleinere Wohnung um. So haben sie weniger Arbeit und können das Haus einer jungen Familie überlassen.
- Mit Solar- und Photovoltaikanlagen kann die Energie der Sonne genutzt werden.
- Nachhaltige Baumaterialien haben Zukunft! Beispielsweise Holz hat eine viel bessere Klimabilanz als Zement, Ziegel oder Stahl. Diese Baustoffe verbrauchen schon bei der Herstellung viel mehr Energie.
- Ein besonders wichtiger Punkt ist, dass Wohnen auch in Zukunft leistbar bleibt. Es braucht eine wirksame gesetzliche Grenze für Mietpreise, damit diese nicht unkontrolliert in die Höhe steigen. Außerdem müssen genügend leistbare Wohnungen zur Verfügung gestellt werden.
- Auf der Suche nach neuen Lösungen sind bereits viele innovative Wohnkonzepte entstanden. Ein gutes Beispiel dafür sind die mobilen Tiny Houses, die Wohnen praktikabel auf kleinstem Raum ermöglichen und mit denen man von Ort zu Ort ziehen kann.