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Wohnen in Zukunft: 

Wie soll das gehen?

Ein Beitrag von Viktoria Ganahl

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Wie steht es um das Wohnen in Vorarl­berg? Die Miet­preise stei­gen in vielen Gebie­ten, der verfüg­bare Boden wird immer knap­per und die Bauweise dich­ter. Gleich­zei­tig gibt es aufgrund des Klima­wan­dels immer heißere Tage im Sommer. Es ist klar, wir müssen uns die Frage stel­len: Wie kann Wohnen in Zukunft ausse­hen? Tenden­zi­ell wohnen die Menschen auf immer klei­ne­rem Raum: Viele haben wenig Platz oder keinen eige­nen Garten. Deshalb reicht eine leist­bare Wohnung für ein gutes Wohn­ge­fühl allein nicht aus. Es braucht zusätz­lich Plätze außer­halb der eige­nen vier Wände, an denen man sich gerne aufhält. Auch wir jungen Leute möch­ten uns konsum­frei mit Freund:innen tref­fen. Kurz gesagt: Es sind gute, zukunfts­fä­hige Lösun­gen gefragt. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, habe ich mit verschie­de­nen Menschen gespro­chen. Wie hat sich das Wohnen in ihren Augen verän­dert und was wünschen sie sich für die Zukunft? Eines steht schon mal fest: Unsere Lebens­welt verän­dert sich. Dadurch entste­hen aber auch viele neue, zukunfts­ori­en­tierte Wohn­kon­zepte. Welche Baustoffe werden dabei eine Rolle spie­len, und wie errei­chen wir unsere Ziele im Einklang mit dem Planeten?

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Max Capelli
14 Jahre
“ich wohne in einem Dorf”
Max Capelli
14 Jahre
“ich wohne in einem Dorf”

Wenn du aus deinem Fenster schaust, was siehst du?

Ein Baum­haus, einen Wald und die Stadt.

Wie wohnst du selbst?

Ich wohne in einem Haus am Hang

Wenn du ein Haus für deine Familie bauen würdest, wie würde das ausschauen?

Schlicht und einfach, mit natür­li­chen Baustof­fen und Holz.

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Julia Domig
15 Jahre 
“lebhaf­tes Dorf/​lebhafte Gemeinde”
Julia Domig
15 Jahre 
“lebhaf­tes Dorf/​lebhafte Gemeinde”

Was wird in deiner Nachbarschaft gebaut und wie?

Haupt­säch­lich sind hier Ein- und Zwei­fa­mi­li­en­häu­ser. Ich wohne in der Nähe vom Bahn­hof, dort stehen Wohn­blö­cke. In unse­rer Straße ist es eher still. Ich sehe zwar die Haupt­straße, aber zu uns fahren recht wenig Autos. Bei uns stehen eher Familienhäuser.

Was würdest du für ein Haus für deine Familie bauen?

Ich würde darauf achten, dass wir einen großen Garten haben. Dann kann man raus­ge­hen. Große Fens­ter würde ich auf jeden Fall machen. Man braucht erstens nicht so viel Strom, und Sonnen­licht ist sicher besser als das Licht von der Lampe. Ich würde schauen, dass Holz inte­griert ist. Das macht das Ganze wohn­li­cher. Ich fände es auch inter­es­sant, ein Haus aus Lehm zu bauen (wie im Work­shop von Lehm Ton Erde). Das finde ich ganz spannend.

Was würdest du in deiner Gemeinde bauen, wenn du könntest?

Even­tu­ell einen Platz, an dem sich junge Leute, egal in welchem Alter, tref­fen können. Und wo man viel­leicht man auch Sport betrei­ben kann. Wir haben einen Basket­ball­platz und einen Fußball­platz, diese werden aller­dings von den Verei­nen genutzt. Ich fände es cool, wenn die jungen Leuten die Plätze jeder­zeit verwen­den können. Man muss aber auch darauf achten, dass der Platz nicht verschmutzt wird. Jemand muss darauf schauen und Verant­wor­tung dafür übernehmen.

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Elina Holder­mann
15 Jahre
“Dorf”
Elina Holder­mann
15 Jahre
“Dorf”

Wie wohnt ihr selbst?

Meine Fami­lie und ich wohnen mit meiner Oma (im oberen Stock) in einem Haus.

Was würdest du für ein Haus für deine Familie bauen?

Ich würde darauf schauen, dass die Rohstoffe und die Heizung umwelt­freund­lich sind. Mir wäre viel Platz wich­tig, und dass mehrere Gene­ra­tio­nen in dem Haus wohnen können. Dadurch wäre es möglich, dass auch die Kinder darin leben.

Was würdest du in deiner Gemeinde bauen, wenn du könntest?

Einen Platz, wo die Jugend­li­chen hinge­hen können. In unse­rem Dorf gibt es nichts Geeig­ne­tes. Wir brau­chen Orte, an denen man zusam­men Sport machen kann — oder viel­leicht auch einen Jugendtreff.

Hat sich deine Wohngegend in den letzten Jahren verändert?

Bei uns war eigent­lich alles schon bebaut. Aber als meine Oma und mein Papa selbst noch jünger waren, da war zuerst noch eine größere Wiese. Auch das Alters­heim war noch nicht da. Das ist vieles dazugekommen.

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Paulina Fraisl
12 Jahre
“ein sehr klei­nes Dorf, aber sehr schön”
Paulina Fraisl
12 Jahre
“ein sehr klei­nes Dorf, aber sehr schön”

Was würdest du für ein Haus für deine Familie bauen?

Nicht mitten in der Stadt: irgendwo, wo viel Wiese und Wald ist. Was ich schön fände, wäre ein Holzhaus.

Hast du einen Lieblingsplatz in deiner Wohngegend?

Ja, im Wald haben wir einen Bach, dort ist es ziem­lich schön. Es schaut aus wie im Dschungel.

Hat sich deine Wohngegend in den letzten Jahren verändert?

Ja, viele neue Wohn­blö­cke sind dazu­ge­kom­men. Und ein paar neue Häuser, wenn ich es mir recht über­lege, sind es eigent­lich viele neue Häuser. Seit man hier ange­fan­gen hat, mehr zu bauen, hat man Schil­der für die Autos aufge­stellt: „Hilfe, ihr seid zu viele!“

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Rein­hold Strieder
Archi­tekt in Pension 
Rein­hold Strieder
Archi­tekt in Pension 

Wie hat sich Ihre Nachbarschaft in den letzten 20, 30 Jahren verändert?

Meine Nach­bar­schaft? Alle sind älter gewor­den. (lacht) Es wird viel mehr gebaut. Es ist alles viel dich­ter. Außer­dem hat sich der Akti­ons­ra­dius vergrö­ßert: Die öffent­li­chen Verkehrs­mit­tel sind viel besser ausgebaut.

Früher hat man größer gebaut, jetzt geht die Tendenz immer mehr Rich­tung Wohnung. Man ist meiner Meinung nach nicht mehr so orts­ge­bun­den wie früher.

Wie wohnen Sie selbst?

Ich wohne sehr nach­hal­tig. Wir haben 1984 Reihen­häu­ser gebaut, das waren die ersten in Satt­eins. Die Häuser haben eine Grund­stücks­größe von 400 Quadrat­me­tern. Sie sind aus Holz und ohne chemi­sche Konser­vie­rungs­mit­tel. Wir haben damals ökolo­gisch gebaut. Das war gar nicht so einfach, weil man das Mate­rial nicht so leicht bekom­men hat. Die Nach­frage war sehr gering, weil “bio” bei den meis­ten Bauver­ant­wort­li­chen gar kein Thema war. Heute sind wir stolz darauf.

In meiner Umgebung ziehen viele junge Familien wieder bei ihren Eltern ein. Ist das Zufall?

Das ist kein Zufall, sondern hängt sicher mit der finan­zi­el­len Situa­tion zusam­men. Es gibt erstens einmal wenig Baugrund. Ich finde, dass es eine ganz vernünf­tige Lösung ist, wenn mehrere Gene­ra­tio­nen unter einem Dach leben: So kann man sich die Ressour­cen teilen. Auch wenn das nur heißt, dass die Oma oder der Opa einfa­cher aufs Kind aufpas­sen können. Dass jeder sein eige­nes Haus baut, finde ich eigent­lich nicht gut. Man sollte heute auch schon bei Neubau­ten ein biss­chen mehr darauf schauen, ob man das Haus später einmal teilen oder man dran­bauen kann?

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Brun­hilde Häusle 
Floris­tin in Pension
“ein größe­res Dorf”

Brun­hilde Häusle 
Floris­tin in Pension
“ein größe­res Dorf”

Wie wohnen Sie selbst?

Ich bin in Pension und lebe alleine. Meine Kinder sind Erwach­sen und ich habe jetzt eine kleine Zwei­zim­mer­woh­nung mit 50 Quadrat­me­tern, mit einer eben­erdi­gen Terrasse.

Sind beim Wohnen für Sie andere Aspekte wichtig als früher?

Ja, natür­lich: Früher hatten wir die Kinder. Da musste die Wohnung anders ausse­hen als jetzt. Meine jetzige Wohnung ist klein und für mich gerade recht. Ich habe nicht so viel Arbeit beim aufräu­men und putzen. Und die Miete ist auch nicht so hoch. So kann ich mir neben­her auch noch was leisten.

Was ist für Sie besonders wichtig im Bereich wohnen?

Mir war es immer wich­tig, dass die Wohnung möglichst eben­erdig ist und dass es eine natür­li­che Umge­bung gibt. Eigent­lich ist das für mich noch wich­ti­ger wie die Größe der Wohnung. Ich muss ins Grüne können. Ich genieße, dass ich von meiner Wohnung schnell drau­ßen am See und in der Natur bin.

Was würden Sie sich für die jüngere Generation in Bezug auf Wohnen wünschen?

Ich bin immer ein biss­chen scho­ckiert, dass man jetzt Wohn­blö­cke baut, die alle gleich ausschauen. Zehn­mal dieselbe Küche, Kabi­nett und Balkon. Die Mate­ria­lien sind oft auch nicht gesund. Ich würde mir wünschen, dass sich für die jüngere Gene­ra­tion das Wohnen inso­fern verän­dert, dass Grün­flä­chen erhal­ten blei­ben. Ich finde es wich­tig, dass man an seinem Wohn­ort ins Grüne kann, so wie ich es kann. Ich würde mir gute Mate­ria­lien und ein schö­nes Umfeld wünschen.

Und natür­lich, dass man sich das Wohnen einfach leis­ten kann. Es sollte ein Menschen­recht sein, dass sich jeder eine Wohnung leis­ten kann. So wie das jetzt ist, dass die Leute kaum noch die Miete zahlen können und nur noch fürs Wohnen arbei­ten — das ist meiner Meinung nach ganz schlimm.

Gibt es noch etwas Wichtiges, was Sie mir gerne erzählen würden?

Man verän­dert sich ja im Laufe der Jahre: Zum Beispiel wenn man Kinder hat, braucht man mehr Platz und ganz andere Wohnungen.

Ich konnte meine Wohn­ver­hält­nisse immer an mein Leben anpas­sen. Jetzt lebe ich auf weni­gen Quadrat­me­tern, aber man kann es sich schön gemüt­lich machen. Ich habe keinen Gemü­se­gar­ten, aber einen Gemein­schafts­gar­ten in Höchst. Dort kann ich Gemüse anbauen. Ich denke, ich habe alles, was ich brauche.

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Für alle Gene­ra­tio­nen ist beson­ders wich­tig, im Grünen zu leben und die Natur vor der Haus­türe zu haben. Für ihre eigene Fami­lie würden die inter­view­ten Jugend­li­chen gerne ein Haus aus nach­hal­ti­gen Baustof­fen wie zum Beispiel Lehm oder Holz bauen. Ein weite­rer Aspekt: Manche jungen Leute leben bereits mit der eige­nen Fami­lie und den Groß­el­tern, in einer sepa­ra­ten Wohnung, unter einem Dach. Sie können sich gut vorstel­len, selbst einmal ein Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus zu bewohnen.

Alle können davon erzäh­len, dass in den letz­ten Jahren viele neue Wohn­blö­cke in den Dörfern gebaut wurden. Bedau­ert wird, dass viele der Wohn­an­la­gen sehr gleich und mono­ton ausse­hen. Wich­tig: Der Anspruch von jungen Leuten Häuser mit nach­hal­tige Bauma­te­ria­lien zu errich­ten, lässt sich auch auf Wohn­blö­cke übertragen.

Was den jungen Leuten im Dorf­bild manch­mal fehlt: Jugend­räume oder Sport­plätze, an denen sich spezi­ell Jugend­li­che tref­fen und aufhal­ten können. Auch Orte, an denen sich die Menschen gene­ra­tio­nen- und grup­pen­über­grei­fend tref­fen, sind vielen wich­tig. Sie machen die Wohn­ge­gend lebenswerter.

Fragt man die ältere Gene­ra­tion, stellt sich heraus: Wenn die Kinder erwach­sen und ausge­zo­gen sind, wirkt das Einfa­mi­li­en­haus plötz­lich viel zu groß. Viele ältere Perso­nen bewoh­nen ganz alleine ein großes Haus. Wer im Alter in eine klei­nere Wohnung umzieht, ist flexi­bler und hat weni­ger Arbeit. Das frühere Haus kann jünge­ren Fami­lien über­las­sen werden.

Für die jüngere Gene­ra­tion wünschen sich die Erwach­se­nen, dass das Wohnen leist­bar bleibt und freie Grün­flä­chen auch in dich­te­ren Wohn­ge­gen­den erhal­ten blei­ben. Außer­dem wünschen sie sich gute, nach­hal­tige Mate­ria­lien für die Wohnun­gen und Häuser der Zukunft.

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Perspektive gewinnen

Die größ­ten Heraus­for­de­run­gen: Insge­samt gibt es zu wenige leist­bare Wohnun­gen, der Bedarf wächst schnel­ler als das Ange­bot. Auch der Boden wird immer kost­ba­rer und dadurch teurer. Gleich­zei­tig schrei­tet der Klima­wan­del weiter voran und sorgt für stetig heißere Tempe­ra­tu­ren. Doch wie finden wir für diese großen Probleme nach­hal­tige Lösungen?

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Expertinneninterview

mit Marina Hämmerle

Um mein Wissen zu vertie­fen, habe ich mit Marina Hämmerle gespro­chen. Sie ist Archi­tek­tin und war von 2005 bis 2012 Direk­to­rin des vai Vorarl­ber­ger Archi­tek­tur Insti­tuts. Seit 2013 betreibt sie in Lust­enau ihr Büro für baukul­tu­relle Anlie­gen. Sie ist auf kommu­na­ler (Gemein­de­ebene), regio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebene in den Berei­chen Archi­tek­tur und Städ­te­bau aktiv. Marina Hämmerle berät, schreibt, juriert und ist auch als Kura­to­rin tätig.

Sie sprach mit mir über Lösungs­an­sätze: Beispiels­weise, wenn es um die Nach­ver­dich­tung von Dörfern und Städ­ten geht. Im Austausch erzählt sie unter ande­rem, welche Vorteile Begrü­nung in Dörfern und Städ­ten mit sich bringt, wie man die Atmo­sphäre eines Ortes erhält und welche Wohn­kon­zepte Zukunfts­per­spek­tive haben.

Marina Hämmerle
Marina Hämmerle

Was sind die größten Herausforderungen für die Raumplanung in den ländlichen Gebieten?

Der Begriff “Orts­ent­wick­lung” betrifft eigent­lich die Innen­ent­wick­lung der Dörfer und Städte. Die “Raum­pla­nung” hinge­gen bezieht sich auf die Landes­ebene. Es geht in der Raum­pla­nung darum, dass die die Zusam­men­schau aller Dörfer gelingt und dass man über kommu­nale Inter­es­sen hinweg gestal­tet und lenkt. Deshalb würde ich gerne auf beide Punkte eingehen.

Beispiels­weise bei der Ansied­lung eines Gewer­be­ge­biets oder ein wich­ti­gen Schul­bau­pro­jekts: Das darf nicht Sache einer Gemeinde sein, sondern muss immer im größe­ren Zusam­men­hang gese­hen werden. Wo ist denn der geeig­nete Stand­ort hinsicht­lich Mobi­li­tät, Anbin­dung an den öffent­li­chen Verkehr? Wie kommen die Menschen dahin? Wie kann man ermög­li­chen, dass die Menschen vom Auto auf den öffent­li­chen Verkehr umsteigen?

Dann ein wich­ti­ger Punkt der Raum­pla­nung in Vorarl­berg: Die Siche­rung der Landes­grün­zone. Diese ist schon seit mehr als 40 Jahren fest­ge­schrie­ben. Es geht darum, dass dieser zentrale Grün­raum im Rhein­tal auch wirk­lich als solcher erhal­ten bleibt.

Ein weite­res Spezi­fi­kum aus Vorarl­berg: Wir haben unglaub­lich viele Bauland­re­ser­ven. Bei uns gibt es z.B. über die Erbtei­lung viele Flächen, die noch weiter­ge­ge­ben oder gekauft werden können. Dadurch entsteht ein enor­mer Druck von den Bauträ­gern auf diese Frei­flä­chen, welche im Dorf­be­reich aber sehr wich­tig sind. Es geht darum, dass die Dörfer nicht komplett zuwach­sen. Wir müssen nach­ver­dich­ten, weil der Boden knap­per, kost­ba­rer und dadurch immer teurer wird. Aber gerade deshalb müssen wir auch schauen, dass wir im Sied­lungs­raum auch quali­ta­tive Frei­flä­chen erhal­ten, die allen zugäng­lich sind.

Was in Vorarl­berg eben­falls augen­schein­lich ist: sehr viel an Frei­raum ist privat. Auch wenn die Wiesen grün sind und die Obst­bäume darauf wach­sen, der Groß­teil des Sied­lungs­rau­mes gehört immer irgend­je­man­dem. Dieser ist meis­tens in priva­ter Hand und für die Allge­mein­heit eigent­lich nicht nutz­bar. Hier müssen die Kommu­nen lenkend eingrei­fen und das Land Vorarl­berg muss im Blick haben: Wie können räum­li­che Entwick­lungs­kon­zepte ange­legt werden, damit genü­gend öffent­li­cher Frei­raum für alle Menschen garan­tiert wird.

In Bezug auf die Freihaltung von Grünflächen und die Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln: Hat sich in diesen Bereichen in den letzten 20 Jahren etwas verändert?

Viele Dörfer verlie­ren im Zuge der Nach­ver­dich­tung ihre Charak­te­ris­tika. Sie werden austausch­bar, weil über­all die glei­chen Wohn­bau­ten entste­hen. In den Nach­kriegs­jahr­zehn­ten wurden zu wenige Visio­nen gene­riert: Wie könnte dieses Quar­tier in 20 Jahren ausse­hen? Wie sollte sich dieser Stra­ßen­zug entwi­ckeln? Und so verschwin­den die Eigen­hei­ten von Stra­ßen­zü­gen oder Quartieren.

Nicht einmal heute haben alle Gemein­den auf dem Schirm, dass man das räum­li­che Entwick­lungs­kon­zept so betrach­ten könnte. Es geht nicht nur um die Bevöl­ke­rungs­dichte oder Geschoss­hö­hen, also um tech­ni­sche Werte. Es geht auch um Atmo­sphäre. Welche Atmo­sphäre möchte man in diesem oder jenem Quar­tier? Da wäre es wich­tig, dass die Entschei­dungs­trä­ger, in diesem Falle die Kommu­nen, Vorstel­lun­gen entwi­ckeln, wie sich das Dorf weiter gestal­ten könnte. So dass wir auch fit sind für die Heraus­for­de­run­gen unse­rer Zeit, wie Klima­wan­del und Klima­an­pas­sungs­maß­nah­men. Das bedeu­tet, wir müssen Grün­räume von Beginn an bei der Orts- und Stadt­pla­nung mitden­ken. Aber nicht nur als Räume, wir müssen auch an den Bauwer­ken und der Archi­tek­tur etwas machen.

Gibt es in Rezept für einen guten Platz, der für alle Bewohner:innen funktioniert?

Ein Rezept könnte sein, dass man sich an dem orien­tiert, was die Menschen gerne haben, auch was die Tiere & Pflan­zen brau­chen. Dann hätte man schon einmal Anhalts­punkte, wo die Reise bei der Stadt- und Dorf­ent­wick­lung hinge­hen könnte. Das heißt: Menschen lieben Plätze, wo man sich gut aufhal­ten kann, wo Baum­schat­ten da ist. Wenn Fassa­den begrünt sind oder üppi­ger Baum­schat­ten vorhan­den ist, können die Tempe­ra­tu­ren deut­lich gesenkt werden. Wenn ich hier im Zentrum von unse­rer Terrasse hinun­ter schaue, dann sehe ich: Jedes halbe Jahr verschwin­den wieder wich­tige Bäume.

Als ich gestern in Zürich war mit Kolle­gin­nen, hat uns eine befreun­dete Archi­tek­tin ein von ihr geplan­tes Wohn­haus gezeigt, eine Nach­ver­dich­tung. Der Neubau liegt inmit­ten etli­cher Altbau­ten, an der Straße steht vis-à-vis ein großes Büro­ge­bäude. Das mehr­ge­schos­sige Gebäude besetzt eine kleine Lücke, ist eine gelun­gene Kompo­si­tion die wirk­lich mit dem umlie­gen­den Bestand inter­agiert. Es nimmt den Geist dieses Ortes auf, das nennt man genius loci: Das Gebäude erzählt und trans­por­tiert die Geschichte, die sich an diesem Ort entwi­ckeln konnte. Und siehe da: Das neue Gebäude hat eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, als ob es immer schon da gewe­sen wäre. Weil es mit den ande­ren Gebäu­den in Kontakt tritt und sich auf wunder­schöne Art und Weise Zwischen­raum-Situa­­tio­­nen erge­ben, die Quali­tät haben, wie beispiels­weise der Blick von den Balko­nen durch zwei Gebäude hindurch bis zur nächs­ten Häuser­zeile oder wie die Gärten inein­an­der spie­len und das Terrain, das Gelände darin aufge­nom­men wird.

Oftmals nehmen die Neubau­ten keinen Bezug auf das, was bereits da ist. So spielt auch die Topo­gra­phie eine große Rolle. Das verstehe ich unter Atmo­sphäre. Wenn man in der Lage ist, einen Ort zu lesen, entsteht atmo­sphä­ri­sche Dichte. Das gelingt, wenn man es versteht den Ort zu lesen: Was sagt mir dieser Ort? Und was braucht er, damit ich ihm nichts wegnehme, sondern ihm etwas hinzu­gebe? Dann entsteht Atmo­sphäre, wird aus einer Planung gute Architektur.

Was sind denn Baumaterialien für die Zukunft, gerade hinsichtlich Vorarlberg?

Ich würde das nicht auf einzelne Mate­ria­lien beschrän­ken. Aber Holz hat die „Nase vorne“, vor allem was die Klima­bi­lanz anbe­langt. Ande­rer­seits finde ich es auch ganz wich­tig, dass man histo­ri­sche Bauten oder die Gebäude der 60er und 70er Jahre wieder ertüch­tigt. Ich bin der Meinung, dass dieser Bestand sehr wich­tig ist und so viel wie möglich reno­viert werden sollte. Das Motto der Stunde lautet meiner Meinung nach: Das nützen, was da ist! Das bedeu­tet, so viel als möglich den Altbe­stand verbes­sern und ertüch­ti­gen, sodass er für die nächste Zeit gewapp­net ist.

Was ich nicht gut finde: Poly­sty­rol­plat­ten soll­ten nicht als Wärme­dämm­ma­te­rial verwen­det werden. Diese sind aus Petro­che­mie herge­stellt, verrot­ten kaum und sind sehr schwer trenn­bar vom massi­ven Baustoff, wie zum Beispiel Beton und Ziegel, auf diese die Plat­ten aufge­klebt werden. Die Klima­ziele recht­fer­ti­gen nicht, umwelt­schäd­li­che Mate­ria­lien zum Einsatz zu brin­gen, nur damit man den Heiz­wert und die Ener­gie­kos­ten senken kann.

Sie haben im Zuge ihrer Berufserfahrung viele unterschiedliche Wohnkonzepte kennengelernt. Gab es da für Sie ein persönliches Highlight? Ein Konzept, bei dem Sie sich gedacht haben: Das ist nachhaltig oder zukunftsfähig?

Was nach­hal­tige Wohn­kon­zepte anbe­langt, hat die Schweiz eine Vorrei­ter­rolle. Dort gibt es die genos­sen­schaft­li­che Form des Wohnens: Man wird Genossenschafter:in und zahlt einen Anteil ein. Es gehört der Gemein­schaft, man kann mieten und kaufen. Diese Wohn­bau­ten beinhal­ten oft auch Clus­ter­woh­nun­gen, d.h. man lebt wie in einer großen Wohn­ge­mein­schaft, hat aber eigene Räum­lich­kei­ten Inner­halb der beispiels­weise 300–350 Quadrat­me­tern. Im kollek­ti­ven Wohn­zim­mer findet man sich dann am großen Mittags­tisch ein. Oder die Wohnun­gen sind in norma­ler Größe und geges­sen wird in einer Art Kantine, die von der Gemein­schaft betreut wird. Darüber hinaus regen weitere Gemein­schafts­ein­rich­tun­gen zur gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­den Gesel­lig­keit an. Man lebt im Verband und kann sich dennoch auf seine Privat­heit zurückziehen.

Es gibt dort auch viele Projekte von Frauen, die im Alter nicht mehr in ihren zu großen Häusern leben wollen. Sie schlie­ßen sich zu Baugrup­pen zusam­men und errich­ten dann z.B. ein 5‑geschossiges Bauwerk mit guter Archi­tek­tur. Aber dafür braucht es eine gewisse Offen­heit: Dass man sein Haus loslas­sen kann, in dem man mögli­cher­weise mit der Fami­lie über Jahr­zehnte gelebt hat und es nun an die Jünge­ren über­gibt. Und dass man sagen kann: Okay, im letz­ten Lebens­ab­schnitt hätte ich es gerne ein biss­chen einfa­cher, kommu­ni­ka­ti­ver und gesel­li­ger. Man muss bereit sein, sich noch einmal zu verändern.

Ganz wich­tig finde ich auch: die Quali­tät der Außen­räume. Der Außen­raum ist mindes­tens genauso wich­tig für eine Anlage. Denn die Stadt ist eigent­lich die Wohnung für alle. Die Plätze sind die Räume, der Wohn­raum oder das Musik­zim­mer, die Gassen sind die Gänge dazwi­schen und die Häuser machen die Fassa­den der Stadt. Arno Brandl­hu­ber, ein Archi­tekt aus Berlin, hat einmal gesagt: Zuerst die Stadt und dann das Haus. Die Stadt ist wich­ti­ger als das Einzel­haus. Das sollte auch ein Grund­satz sein, wie man Dorf oder Stadt entwi­ckelt. Dass man zuerst denkt: Was setze ich hier rein, damit dieser Platz nicht schlech­ter, sondern im besten Falle besser wird? Denn in der Regel bedeu­tet bauen ja, dass man dem Ort etwas wegnimmt. Da war im Vorfeld eine Wiese, da waren Obst­bäume, viel­leicht ein Bach. Wir müssen uns immer über­le­gen: Was ist der Ausgleich? Was geben wir zurück, damit es besser wird als zuvor – oder, wie gelingt es zumin­dest die bestehende Quali­tät zu erhalten?

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Innovative Wohnkonzepte

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Dieses Gebäude wurde in den Altbe­stand hinein­ge­baut. Im Erdge­schoss befin­det sich eine Kinder­krippe, die sich um den biodi­ver­sen Garten kümmert. Die umlie­gen­den Bauten haben Hoch­sprünge und Versätze im Dach und den Teras­sen. Das wurde auch bei der Planung des neuen Gebäu­des mitein­be­zo­gen. Man sieht eine Verwandt­schaft: Das neue Haus hat zum Beispiel ein beson­de­res Gelän­der, das an die analo­gen Gelän­der der umlie­gen­den Bauten erin­nert. Durch diese Details harmo­nie­ren die Gebäude zusammen.

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Auf der Stra­ßen­seite hat man den Blick in die Gasse. Die versetz­ten Wohnun­gen ermög­li­chen dies von jedem Wohn­zim­mer aus.

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Diese Wohn­an­lage steht in Zürich und wurde den Archi­tek­ten Knap­kie­wicz & Fickert geplant. Die Stadt Zürich hat hier erschwing­li­che Wohnun­gen direkt im Seefeld für die Bürger:innen finan­ziert. Viele Fein­hei­ten machen diese Wohn­an­lage einzig­ar­tig: farbige Fens­ter, zwei­stö­ckige Wohnun­gen oder Sitz­mög­lich­kei­ten im Innen­hof. Im großen Hof steht eine zwei­ge­schos­sige Fahr­rad­ga­rage. Auf dem Deck gibt es einen offe­nen Raum für Feste, Partys oder zum Beispiel Kinder-Bastel­nach­­mi­t­­tage. Gemein­same Flächen, um die Bewohner:innen mitein­an­der in Begeg­nung zu bringen.

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Der Eingangs­be­reich wurde mit einem großen, außer­ge­wöhn­li­chem Mosaik gestal­tet. Schon beim Eintre­ten ins Stie­gen­haus weiß man: Hier bin ich zuhause.

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Was die Medien dazu sagen

und weitere Beiträge zum Thema

Die Medien machen deut­lich: Wir stehen beim Thema Wohnen zukünf­tig vor großen Heraus­for­de­run­gen. Die größ­ten davon sind einer­seits der Klima­wan­del, der die Tempe­ra­tu­ren immer weiter stei­gen lässt. Ande­rer­seits wird der Platz in Dörfern und Städ­ten immer knap­per, leist­bare Wohnun­gen sind in vielen Regio­nen Mangelware.

Damit Wohnen in Zukunft funk­tio­nie­ren kann, müssen viele Berei­che des Wohnens neu gedacht werden. In den Medien wird bereits ein brei­tes Spek­trum an unter­schied­lichs­ten Konzep­ten und Lösun­gen dafür vorge­stellt. Das reicht von der Fassa­den­be­grü­nung über Nied­­rig- und Plus­ener­gie­häu­ser bis hin zu Tiny Houses oder flexi­blen Wand­sys­te­men. Die Forschung beschäf­tigt sich außer­dem mit der Frage, wie neue, umwelt­freund­li­che Baustoffe entwi­ckelt werden können. Laut den Medien werden uns nach­hal­tige Bauma­te­ria­lien, begrünte Dörfer und Städte sowie mehr öffent­li­che Plätze auch schon in den nächs­ten Jahren immer häufi­ger begeg­nen. Viele andere Ideen sind hinge­gen noch Visio­nen und keine Reali­tät. Aber je facet­ten­rei­cher das Thema Wohnen in der Gegen­wart über­dacht wird, umso viel­fäl­ti­ger werden unsere zukünf­ti­gen Lösun­gen dafür sein.

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Lösungsansätze

Wie kann Wohnen in Zukunft gehen? Um mich dieser Frage anzu­nä­hern, habe ich mit ganz unter­schied­li­chen Perso­nen gespro­chen. Es zeigt sich: Egal, ob man mit jungen Leuten, Erwach­se­nen oder Exper­ten und Exper­tin­nen redet — alle haben diesel­ben Anlie­gen und denken in eine sehr ähnli­che Richtung.

Eines ist schon mal klar: Damit Wohnen auch in Zukunft funk­tio­nie­ren kann, muss berück­sich­tigt werden, was für die Menschen und die Natur gut ist. Wenn wir davon ausge­hen, erge­ben sich bereits viele Lösungsansätze:

  • Plätze, an denen sich alle Menschen tref­fen können: Es braucht genü­gend öffent­li­chen, quali­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Frei­raum, der nicht priva­ti­siert ist.
  • Menschen und auch Tiere halten sich gerne im Grünen auf. Begrünte Fassa­den und Bäume im Dorf schaf­fen nicht nur eine ange­nehme Atmo­sphäre, sondern können die Tempe­ra­tur senken. Auch biodi­verse Gärten und Wiesen sind Orte, an denen man gerne verweilt und die für Mensch und Natur gut sind.
  • Gemein­schafts­gär­ten sind vor allem in dich­ter besie­del­ten Gebie­ten eine gute Lösung für alle, die keinen eige­nen Garten haben.
  • In vielen Dörfern gibt es unge­nutzte Kuba­tur, die man reno­vie­ren und wieder wohn­lich machen könnte. Dieser Lösungs­an­satz ist nicht nur nach­hal­tig, sondern spart auch wert­vol­len Boden, der immer kost­ba­rer und teurer wird.
  • Projekte wie zum Beispiel Schu­len oder Gewer­be­ge­biete müssen in einem größe­rem Zusam­men­hang über­dacht und geplant werden. Wo ist die passende Lage für dieses Gebäude? Ist dieser Ort mit den öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln gut erreich­bar? In solche Planungs­pro­zesse gehö­ren nicht nur die Entscheidungsträger:innen der Kommu­nen, sondern im Falle Mitglie­der der Zivil­be­völ­ke­rung miteinbezogen.
  • Bei der Planung eines Gebäu­des ist es wich­tig, den Charak­ter bzw. die Atmo­sphäre eines Ortes zu berück­sich­ti­gen. Ausge­hend davon kann man versu­chen, das neue Gebäude möglichst gut in die Umge­bung zu inte­grie­ren. Dass ein neues Haus sich in die Land­schaft einfügt und mit den ande­ren Gebäu­den harmo­niert, bezeich­net man als “genius loci”.
  • Wer in einem Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus wohnt, kann sich die Ressour­cen teilen. Es ist eine gute Idee, sich beim Neubau schon zu über­le­gen: Könnte dieses Haus später einmal ausge­baut oder geteilt werden?
  • Viele Dörfer und Städte werden immer weiter verdich­tet. Gerade deshalb ist es aber wich­tig, dass freie Grün­flä­chen in den Wohn­ge­gen­den erhal­ten blei­ben, die von allen genutzt werden können.
  • Ein weite­rer wich­ti­ger Punkt: Wohnen flexi­bel zu sehen und dem jewei­li­gen Lebens­ab­schnitt anzu­pas­sen. Beispiels­weise ziehen viele ältere Menschen in eine klei­nere Wohnung um. So haben sie weni­ger Arbeit und können das Haus einer jungen Fami­lie überlassen.
  • Mit Solar- und Photo­vol­ta­ik­an­la­gen kann die Ener­gie der Sonne genutzt werden.
  • Nach­hal­tige Bauma­te­ria­lien haben Zukunft! Beispiels­weise Holz hat eine viel bessere Klima­bi­lanz als Zement, Ziegel oder Stahl. Diese Baustoffe verbrau­chen schon bei der Herstel­lung viel mehr Energie.
  • Ein beson­ders wich­ti­ger Punkt ist, dass Wohnen auch in Zukunft leist­bar bleibt. Es braucht eine wirk­same gesetz­li­che Grenze für Miet­preise, damit diese nicht unkon­trol­liert in die Höhe stei­gen. Außer­dem müssen genü­gend leist­bare Wohnun­gen zur Verfü­gung gestellt werden.
  • Auf der Suche nach neuen Lösun­gen sind bereits viele inno­va­tive Wohn­kon­zepte entstan­den. Ein gutes Beispiel dafür sind die mobi­len Tiny Houses, die Wohnen prak­ti­ka­bel auf kleins­tem Raum ermög­li­chen und mit denen man von Ort zu Ort ziehen kann.